Wahlbeteiligung:Demokratisches Debakel

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Bereits vor vier Jahren hatten erschreckend wenige Bremer ihre Stimme abgegeben. Diesmal dürften es sogar noch weniger gewesen sein. Schon im Wahlkampf waren die Nichtwähler ein großes Thema gewesen.

Von Peter Burghardt

Bremens Bürgermeister und andere Prominente haben gewählt, so viel steht fest. Jens Böhrnsen gab seine Stimme am Sonntagmittag gegen 12.15 Uhr im Wahllokal an der Grambker Heerstraße ab, möglicherweise machte er seine Kreuze bei der SPD. Es folgten andernorts in der Hansestadt die CDU-Kandidatin Elisabeth Motschmann und Karoline Linnert von den Grünen, Böhrnsens Vize. Sein größter Wunsch sei eine gute Beteiligung, verkündete Böhrnsen, das war mehr als der übliche Appell. Es war ein Notruf: "Geht wählen!" Denn vor vier Jahren hatten nur 55,5 Prozent der Bremer Wahlberechtigten mitgemacht, als die Besetzung der Bürgerschaft und mithin die Machtverhältnisse der örtlichen Politik geklärt wurde. Und diesmal sah es noch schlechter aus.

Um 14 Uhr lag die Wählerquote bei miserablen 23,5 Prozent, 2011 waren es zu dieser Uhrzeit immerhin schwache 30 Prozent gewesen. Dabei durften bereits zum zweiten Mal alle Bürger teilnehmen, die über 16 Jahre alt sind, beim kommunalen Teil der Abstimmung auch EU-Ausländer. Im Angebot waren zehn Parteien in Bremen und elf in Bremerhaven. Aber möglicherweise machten diesmal kaum mehr die Hälfte der zuständigen Menschen von diesem Grundrecht Gebrauch. Bremen und Bremerhaven haben gut 650 000 Einwohner, rund 500 000 davon hätten ihren Umschlag in eine Urne stecken oder abschicken können. Doch es sah so aus, als seien es allenfalls 250 000 gewesen, was ein demokratisches Debakel wäre.

Damit würde sich diese westliche Region östlichen Abstinenzgebieten wie Sachsen, Thüringen und Brandenburg annähern. "Da wollen wir eigentlich nicht landen", entgegnete Landeschef Böhrnsen vor wenigen Tagen in seinem Büro. Beunruhigend, oder? "Total. Vor allem, wenn man die soziale Spaltung sieht, die sich in der Wahlbeteiligung widerspiegelt." Befragte man junge Männer im weniger wohlhabenden Revier Gröpelingen, kamen solche Antworten zurück: "Die meisten hier haben keine Lust zu wählen. Bringt eh nix." Oder: "Viele haben da nicht so viel Ahnung."

Jugendliche hören Politikern kaum mehr zu

Die Nichtwähler waren ein großes Thema in dem ansonsten öden Wahlkampf, der kaum dazu angetan war, Wahlbegeisterung zu entfachen. Erschrockene Beobachter verweisen auf ein eher kompliziertes Wahlsystem und die klaren Machtverhältnisse, die SPD dominiert ja bereits seit 70 Jahren und seit acht Jahren gemeinsam mit den Grünen. Das ist eine Art geduldeter Grundkonsens. Kaum jemand glaube, dass es wirklich um etwas gehe oder sich eine Alternative aufdränge, sagt der Politologe Lothar Probst. Auch würden wesentliche Entscheidungen immer mehr vom Bund und der EU getroffen, Landesparlamente fühlten sich wie entmachtet. Gleichzeitig würden sich viele Jugendliche besonders in schwierigen Stadtteilen kaum mehr die Nachrichten ansehen oder gar Politikern zuhören. Obwohl Flüchtlinge aus dem Ausland wahrscheinlich froh wären, wenn sie daheim die politische Wahl gehabt hätten, vermutet Probst. "Wenn wir ins Kaufhaus gehen, dann wollen wir ja auch eine Wahl haben, zwischen Artikeln die wir kaufen."

Es profitieren kleinere Parteien wie die FDP und die AfD und zornige Splittergruppen wie die "Bürger in Wut". Auf einem SPD-Plakat mit einem roten Kreuz auf weißem Wal stand: "Miteinander. Gegen das Wahlsterben."

© SZ vom 11.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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