VW:Eine riskante Konstruktion

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Die Konzernführung hat sich im Herbst 2015 dazu entschieden, alte Konzernmitarbeiter die Abgasaffäre aufklären zu lassen. Ein Fehler: Ausgerechnet VW-Chef Müller taucht in einer Anklageschrift auf.

Von Thomas Fromm

Andere Konzerne wären längst zusammengebrochen bei diesen Summen: 15 Milliarden Dollar für einen Vergleich in den USA, immer wieder neue Klagen, Millionenforderungen und Milliardenlöcher - zehn Monate nach Bekanntwerden des Dieselskandals sind die Risiken für Volkswagen nicht nur nicht aus der Welt. Sie werden sogar immer mehr und immer größer. Ein Konzern auf der Kippe.

Von allen Milliardenrisiken ist das größte Risiko für Volkswagen jedoch inzwischen Volkswagen selbst. Der Konzern wird von Männern regiert, die ganz offensichtlich nicht das Vertrauen ihrer Gegner haben. Dass sie an die Spitze geholt wurden, stellt sich nun als teurer und folgenschwerer Fehler heraus. Sie werden von ihrer eigenen Vergangenheit eingeholt.

Jüngstes Beispiel: Der amtierende VW-Vorstandsvorsitzende Matthias Müller wurde in einer Klage des Staates New York namentlich erwähnt. Er soll, wie der damalige Audi- und spätere VW-Chef Martin Winterkorn, über Abgasprobleme bei Dieselfahrzeugen informiert gewesen sein. Aus dem Papier geht aber nicht hervor, ob er tatsächlich von dem Betrug mit der Motorsoftware wusste. Aber sein Name ist dabei, und das schadet möglicherweise nicht nur ihm, sondern auch dem Unternehmen.

Die Aufklärer sind alte Bekannte im Unternehmen

Im Herbst 2015 stand der Konzern vor der Wahl: Soll neues, vielleicht sogar externes Personal den Konzern durch die Dieselkrise führen, oder sollen altbewährte VWler ran? Man entschied sich für Letzteres, und so wurde der frühere Audi- und Porsche-Mann Matthias Müller, seit Jahrzehnten in der weiten Konzerngalaxie unterwegs, neuer VW-Chef. Gleichzeitig setzten die VW-Eigentümerfamilien Porsche und Piëch Ex-VW-Finanzvorstand Hans Dieter Pötsch an die Spitze des Aufsichtsrats. Man kannte sich, man schätzte sich, und man hatte schon die eine oder andere Krise gemeinsam durchgestanden. Jetzt müssen also zwei Männer seit fast einem Jahr aufklären, was in ihren Jahren im Konzern unter ihnen schiefgelaufen ist. Die Konstruktion ist nicht nur bedenklich, sie war von Anfang an mehr als riskant. Sie ist ein Spiel mit dem Feuer.

Nun, da die Situation zu eskalieren droht, wird auf dramatische Weise deutlich, dass VW ein klarer Schnitt besser bekommen wäre als dieses Durchlavieren. Denn nicht wenige jener Menschen, mit denen VW derzeit über Schuld und Unschuld, über Millionen und Milliarden verhandeln muss, dürften dies als Provokation verstehen. Es sind keine guten Voraussetzungen, um in den schwierigen juristischen Verhandlungen weiterzukommen.

Staatsanwälte, zumal amerikanische, haben ihre ganz eigene Sprache, und nicht selten tendieren sie zur dramaturgischen Zuspitzung. Das ist auch hier so. Aber abseits aller Rhetorik ist die Gegenseite ernsthaft sauer. Sauer auf VW. Wie sonst ist es zu verstehen, wenn US-Staatsanwälte den Dieselskandal als einen "systematischen und kalkulierten Rechtsbruch" beschreiben; wenn sie von einer "tiefen unternehmerischen Arroganz" bei der Aufarbeitung des Dieselskandals sprechen? Gemeint sind wohl auch die millionenschweren Boni-Zahlungen, die sich die VW-Vorstände für das vergangene Jahr noch genehmigen ließen. Man konnte das für unsensibel halten. Oder sogar schlicht für Realitätsverlust.

Während US-Ermittler gerade den größten Autobauer Europas mit seinen 600 000 Mitarbeitern durchkämmen, verkündete das Unternehmen am Mittwoch etwas ganz anderes: Dank "pfiffiger Mitarbeiterideen" habe man fast 80 Millionen Euro eingespart. "Ideen-Bilanz", so lautet der Name der hausinternen Initiative. Eigentlich ein gutes Motto. Auch die Konzernspitze bräuchte ein paar frische Ideen. So wie die Dinge gerade stehen, müssten die aber schon sehr pfiffig ausfallen.

© SZ vom 21.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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