Volkswagen:"Winterkorn wird schwer zu halten sein"

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Die Kritik am Chef wächst auch im Konzern. VW gibt zu, in elf Millionen Autos Software eingebaut zu haben, um Abgas-Werte zu schönen.

Der Skandal um manipulierte Abgastests bei VW weitet sich immer mehr aus. Der Konzern räumte am Dienstag ein, dass das Unternehmen in bis zu elf Millionen Diesel-Autos eine Software eingesetzt hat, mit der sich Abgaswerte manipulieren lassen - und nicht bloß in 480 000 Autos, wie es noch am Montag hieß. VW-Chef Martin Winterkorn droht deshalb die vorzeitige Ablösung. Eigentlich sollte der Aufsichtsrat am Freitag seine Vertragsverlängerung bis 2018 durchwinken. "Der weltweite Druck ist inzwischen so groß geworden, dass Winterkorn nur schwer zu halten sein wird", fasst nun ein Insider die Stimmung zusammen. Winterkorn aber kämpft. Er entschuldigte sich in einer Videobotschaft "in aller Form" bei Kunden, Behörden und der Öffentlichkeit für die Tricksereien bei den Abgaswerten: "Um es klar zu sagen: Manipulieren und Volkswagen - das darf nie wieder vorkommen." Der Mittwoch könnte für Winterkorn der Tag der Entscheidung werden - dann trifft sich das mächtige Aufsichtsrats-Präsidium in Wolfsburg, um über die Zukunft des VW-Chefs zu beraten. Bereits am Dienstagabend kamen einflussreiche Aufsichtsräte mit Topmanagern in Braunschweig zusammen. Sie haben große Zweifel daran, dass Winterkorn als Chef noch tragbar ist. Als möglicher Nachfolger für den 68-jährigen Winterkorn steht Porsche-Chef Matthias Müller bereit. Dieser sei "ein solider Mann und kennt den Konzern", hieß es im Kreis der Kontrolleure.

VW stand wegen des Abgasskandals am Dienstag unter massivem Druck. An der Börse brach der Kurs des Unternehmens zeitweise um mehr als 23 Prozent ein. Damit hat VW an der Börse allein in den vergangenen beiden Tagen mehr als 25 Milliarden Euro an Wert verloren. Seit dem Höchststand der VW-Aktie im Februar wurden sogar fast 70 Milliarden vernichtet; damals war der Konzern noch mit 120 Milliarden Euro bewertet worden.

Mittlerweile untersuchen Behörden in mehreren Ländern den Fall. In den USA hat das Justizministerium strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) setzte eine Untersuchungskommission unter Leitung eines Staatssekretärs ein, die noch in dieser Woche nach Wolfsburg fahren soll. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) forderte eine schnelle Aufklärung. Allerdings wurde auch bekannt, dass die Bundesregierung schon mindestens seit Juli um die Existenz von Software wusste, mit der sich Fahrzeugtests manipulieren lassen. Südkorea kündigte an, Autos der Marken Volkswagen und Audi (die ebenfalls zum VW-Konzern gehört) einer Sonderprüfung zu unterziehen. Auch Frankreich und Italien kündigten Überprüfungen an, ebenso die EU-Kommission. Die Vereinten Nationen nannten die Abgas-Manipulationen "äußerst beunruhigend". Winterkorn versprach: "Wir klären das auf." Er sprach von den "schlimmen Fehlern einiger weniger". VW veröffentlichte am Dienstag erste Erkenntnisse einer eigenen Sonderprüfung. Demnach sind weltweit elf Millionen Autos mit Motoren des Typs EA 189 bestückt worden, die von der manipulativen Software gesteuert werden. Die Fahrzeuge wurden in den Jahren 2009 bis 2015 ausgeliefert, betroffen sind in den USA die Modelle Jetta, Beetle, Passat und Golf sowie der Audi A3. Für Nachbesserungen an den elf Millionen Autos stellte VW 6,5 Milliarden Euro zurück.

Das Schicksal von VW-Vorstandschef Martin Winterkorn entscheidet sich an diesem Mittwoch. Führende Mitglieder des Aufsichtsrats sind von ihm abgerückt. (Foto: Markus Schreiber/AP)

Unklar ist, wer die Entwicklung der Software in Auftrag gegeben und den jahrelangen Einbau in die Dieselautos zu verantworten hat. Formal fällt die Verantwortung in den Bereich des Entwicklungschefs, dies war bis 2013 der heutige Audi-Entwicklungschef Ulrich Hackenberg. Auf ihn folgte Heinz-Jakob Neußer.

Das umstrittene Bauelement stammt indes von Bosch. Das "Förder- und Dosiermodul zur Abgasnachbehandlung" wird auch an andere Autohersteller geliefert. In dieser Hardware sei auch eine Funktion enthalten, die erkennen könne, wenn ein Auto im Testmodus betrieben werde. Dies sei "Industriestandard", teilte Bosch mit. Man habe hier aber keine illegalen Spezifikationen eingebaut und keinerlei Mitverantwortung. "Wir fertigen die Komponenten nach Spezifikation von Volkswagen, die Verantwortung für Applikation und Integration der Komponenten liegt bei VW." Das beträfe also auch die Programmierung. Die Deutsche Umwelthilfe geht davon aus, dass auch andere deutsche Autohersteller betroffen sind. In einem Brief an die Chefs von Opel, Audi, BMW, Daimler, Ford und Porsche behauptete der Verband, ihm lägen "Hinweise vor, dass offensichtlich auch Fahrzeuge Ihres Hauses um ein Vielfaches erhöhte NO₂-Werte aufweisen". Diese Stickstoffdioxid-Werte seien durch normale Abweichungen nicht erklärbar. Bis Freitag sollen die Konzerne darlegen, ob eine Software Testsituationen erkennt und für günstigere Emissionen sorgt. So funktionierte auch die Software, die VW in Bedrängnis bringt.

© SZ vom 23.09.2015 / usc, thf, miba, hm - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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