Volkswagen:Die dritte Familie

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Die Ohnmacht der einen hat zwangsläufig die Macht der anderen zur Folge: In dem Wolfsburger Konzern übernimmt die IG Metall derzeit die Aufgaben der Familien Piëch und Porsche.

Von Thomas Fromm

Ein normaler Konzern war Volkswagen noch nie, und das lag immer auch an der eigenartigen, einzigartigen Konstruktion dieses Unternehmens. Es ist nämlich alles gleichzeitig: ein börsennotiertes Familienunternehmen, bei dem die Milliardenerben der Porsches und der Piëchs die Mehrheit besitzen; ein teilstaatliches Unternehmen, an dem das Land Niedersachsen 20 Prozent und eine Sperrminorität hält, die es jederzeit für ihre Interessen einsetzen kann - und, wenn man so will, eine Art Gewerkschaftsunternehmen, bei dem die IG Metall so viel Einfluss hat wie nirgendwo sonst. Ohne den mächtigen Betriebsratschef Bernd Osterloh geht bei wichtigen Entscheidungen gar nichts. Die IG Metall ist heute eine Art dritte VW-Familie neben den Porsches und den Piëchs.

Dass die IG Metall so mächtig werden konnte, hat vor allem mit der Ohnmacht der anderen beiden Familien zu tun.

Derjenige, der dieses komplizierte Interessengeflecht von Erben, Arbeitnehmern und Politik jahrelang zusammenhielt und die Fäden zog, hieß Ferdinand Piëch. Nach dem Abgang des Patriarchen von der Aufsichtsratsspitze im Frühjahr übernahm der frühere IG-Metall-Chef Berthold Huber den Posten. Schon dies zeigte die ganze Anomalie des VW-Konstrukts: Offenbar hatte der Familienclan geglaubt, dass es mit dem 78-jährigen Piëch für immer so weitergehen würde - einen eigenen Kandidaten aus dem Familienlager hatte man nicht.

Die IG Metall ist derzeit mächtiger als die Piëchs und Porsches

Bis heute nicht. Huber, die Interimslösung, der Mann, der ursprünglich nur ein halbes Jahr an der Spitze des Gremiums bleiben sollte, könnte nun mindestens bis zum Ende des Jahres bleiben, heißt es aus dem Konzern. So wird aus dem Notfallkandidaten ein ganz normaler Aufsichtsratschef. Für das VW-Management bedeutet das: Es wird bis auf Weiteres gleich von zwei Seiten von Gewerkschaftern kontrolliert: von Aufsichtsratschef Huber, und von Gesamtbetriebsratsboss Osterloh.

Ist das noch Mitbestimmung oder schon Management? Es ist eine für die deutsche Industrie sehr spezielle Konstellation. Sie fällt ausgerechnet in eine Zeit, in der wichtige Fragen geklärt werden sollen: Welche Rolle sollen die Wolfsburger Zentrale und Konzernchef Martin Winterkorn künftig in diesem 200-Milliarden-Euro-Umsatz-Reich spielen? Wird man Macht abgeben an die Regionen? Auch muss entschieden werden, wo genau in den nächsten Jahren Milliarden gespart werden. Die Zukunft des Konzerns liegt mehr denn je in den Händen der IG Metall.

Es ist aber nicht ihre Aufgabe, Posten wie den des Chefkontrolleurs auf unbestimmte Zeit einzunehmen. Am Ende könnte es auch der IG Metall selbst schaden. Deren Ziel muss es ja sein, die Interessen der Arbeitnehmer wahrzunehmen. Andererseits: Sie füllt eine Leerstelle, die andere hinterlassen haben. Wolfgang Porsche zum Beispiel. Der Chef der Porsche-Familie und VW-Aufsichtsrat hätte den ersten Zugriff, er könnte Huber jederzeit ablösen. Aber er will nicht. Die Stärke der IG Metall sagt einiges aus über den Zustand von VW.

© SZ vom 14.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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