Verleihung:Die böse Welt der netten Weißen

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Hollywood zeigt sein Gespür für Reizthemen, es prämiert viele politische Filme. Der Konflikt aber spielt im Saal selbst.

Von Susan Vahabzadeh

Wenn die Oscars verliehen werden, dann feiert die Filmbranche sich normalerweise selbst. In diesem Jahr aber kann man wirklich nicht behaupten, die Inszenierung im Dolby Theatre in Hollywood habe versucht, die Fassade einer heilen Welt aufrechtzuerhalten. "Oscar-Material", das sind meist Filme, bei denen es um alles geht, woran die Welt krankt, von der Finanzkrise bis zum Holocaust. Aber diesmal war etwas anders: Es ging um die Probleme drinnen im Saal, nicht um die Welt da draußen. Wieder mal ist kein einziger schwarzer Schauspieler, geschweige denn Regisseur nominiert worden; das hatte in den vergangenen Wochen eine Kontroverse über die Zusammensetzung der Academy of Motion Picture Arts and Science ausgelöst. Hier entscheiden mehrheitlich nicht mehr ganz junge weiße Männer - und finden vor allem jene Filme gut, in denen sie sich selbst wiederfinden. Es war abzusehen, dass der schwarze Moderator Chris Rock der versammelten Hollywood-Gemeinde dafür ordentlich heimleuchten würde. Das hat er auch getan.

Der schmerzhafteste Spruch, den Chris Rock im Lauf des Abends von sich gab, war an das Publikum im Saal gerichtet: Das hier sind die nettesten Leute, die es gibt, die Liberalen. Traditionell unterstützen die Leute aus der Filmbranche meist demokratische Präsidentschafts-Kandidaten, und sie stimmen in der Academy auch gerne gemäß ihrer liberalen Gesinnung ab. Aber Diversität in den eigenen Reihen bekommen sie nicht hin.

"Spotlight" handelt nicht nur von einem Missstand - er weist den Weg zu seiner Beseitigung

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(Foto: Chris Pizzello/AP)

Bilder eines denkwürdigen Abends: Chris Rock konfrontiert die versammelte Filmszene mit ihren eigenen Fehlern,...

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(Foto: dpa)

...Leonardo DiCaprio trägt endlich seinen ersten Oscar nach Hause...

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(Foto: Kevin Winter/AFP)

...und Lady Gaga bewegt mit ihrem Auftritt gegen sexuelle Gewalt.

Auch die Entscheidungen in diesem Jahr zeigen durchaus Haltung. Sylvester Stallone spekulierte vergeblich auf einen Oscar als bester Nebendarsteller in "Creed" , den dann Mark Rylance bekam für seine Rolle in Steven Spielbergs "Bridge of Spies". Man spielt sich mit den "Rambo"-Filmen eben nicht in die Herzen der Academy-Mitglieder. Und beide Favoriten unter den acht Nominierten für den besten Film boten politischen Zündstoff: "The Big Short" über Fonds-Manager, die den Zusammenbruch des US-Immobilienmarkts vorausgesehen haben und dann davon profitierten, und "Spotlight" über ein Team von Reportern des Boston Globe, das 2001 die systematische Verschleierung der katholischen Kirche von Kindesmissbrauch durch Priester aufdeckte.

"Spotlight" siegte, ein solider Film, dessen Herz für jene schlägt, die sich selbst nicht wehren können - "The Big Short" ist zwar viel moderner gemacht, schneller, einfallsreicher und provokant. Aber "Spotlight" handelt nicht nur von einem Missstand - er weist den Weg zu seiner Beseitigung. "Spotlight"-Produzentin Blye Pagon Faust sagte in ihrer Dankesrede, die Geschichte zeige, wie wichtig investigativer Journalismus sei. Denn gesellschaftliche Vereinbarungen haben nur dann einen Wert, wenn ihre Einhaltung auch durchgesetzt wird. Diese Oscar-Zeremonie hat sich so viel mit politischen Fragen befasst wie zuletzt jene zu Beginn des Irakkriegs; aber im Grunde ging es diesmal ja nur um Dinge, die nach geltendem amerikanischen Recht verboten sind, Vergewaltigung und Missbrauch und Diskriminierung. Diese ganze Oscar-Verleihung hat dafür geworben, sich dafür einzusetzen, dass diese gesellschaftlichen Vereinbarungen auch tatsächlich eingehalten werden - was schon schwer genug ist. In diesem Sinne ist "Spotlight" der würdigste Sieger.

Da ist nur konsequent, wenn diese Filmgemeinde von der Bühne herab durch den Kakao gezogen wird. Dass in Hollywood nur sehr selten Filme von Schwarzen, Frauen oder Einwanderern aus Lateinamerika produziert werden, ist nachweisbar, und es ist nachweisbar, dass es diese Filmemacher durchaus gibt - aber ihre Filme werden nicht in Hollywood produziert.

Die Gesetze in Pakistan sollen geändert werden, wegen eines Films über "Ehrenmorde"

Schutz vor Diskriminierung und vor Übergriffen, das zog sich wie ein Leitmotiv durch den Abend. Sam Smith, der für den besten Song aus dem Bond-Film "Spectre" ausgezeichnet wurde, mutmaßte, er sei der erste Oscar-Gewinner, der offen zu seiner Homosexualität stehe - was nicht stimmt, denn Elton John hat für "König der Löwen" schon 1995 einen Oscar bekommen. Der Oscar für den besten kurzen Dokumentarfilm ging an Sharmeen Obaid-Chinoy für "A Girl in the River: The Price of Forgiveness" über eine Frau in Pakistan, die einen versuchten "Ehrenmord" überlebt hat. Und sie konnte tatsächlich einen Erfolg in ihrer Rede vermelden, der weit über diesen Glamourabend hinausweist: Die Gesetze in Pakistan sollen geändert werden, wegen dieses Films. Lady Gaga tat ihr Bestes, Tränen in die Augen zu treiben, als sie ihren nominierten Song "Til it happens to you" aus dem Dokumentarfilm "Hunting Ground" über sexuelle Gewalt an amerikanischen Colleges vortrug, umringt von Betroffenen, zu denen sie auch selbst gehört. Das ist tatsächlich ein sehr politischer Moment: Das ist neu, dass eine so berühmte Frau wie Lady Gaga vor so großem Publikum ihre eigene Vergewaltigung thematisiert.

Nur "The Revenant", der drei Oscars bekam, für die Kamera, die Regie und den besten Schauspieler, hat so gar nichts mit politischen Fragen zu tun. Da spielt Leonardo DiCaprio einen Fährtensucher kurz nach dem amerikanischen Bürgerkrieg, der schwer verletzt in der eisigen Wildnis einen Rachefeldzug führt gegen den Mörder seines Sohnes. Nun hat Leonardo DiCaprio endlich den Oscar bekommen, den er eigentlich für seinen Auftritt als irrer Banker in "The Wolf of Wall Street" verdient hätte. In der Kampagne für "The Revenant" wurde für DiCaprio geworben, als habe er sich beim Dreh tatsächlich drei Zehen abgefroren. Hat er nicht; und selbst wenn, wäre das keine schauspielerische Leistung. Mit dieser argumentierten seine prominenten Unterstützer kaum. Es sei, sagte beispielsweise seine "Titanic"-Kollegin Kate Winslet, jetzt einfach Zeit.

Diese Entscheidung hat trotzdem ihre Berechtigung - es geht eben im Kino nicht nur darum, wer am kunstvollsten die originellste Geschichte erzählt. Die Oscars sind ein Preis der Filmindustrie - es dreht sich also auch darum, wer tatsächlich sein Publikum erreicht. Und Leonardo DiCaprio ist einer der letzten Schauspieler, für den tatsächlich noch Menschenmassen in die Kinos strömen, egal, was für ein Film das ist, in dem er da mitspielt. Das ist für die Filmindustrie profitabel, aber es ist noch ein bisschen mehr: Denn ohne ein paar echte, ganz große Stars würde niemand hinhören, wenn ein Abend so politisch ist wie diese Oscar-Verleihung.

© SZ vom 01.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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