Verhandlungen mit Athen:Tanz an der roten Linie

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Juncker mosert, Schäuble schimpft - und in Brüssel sind alle genervt von den Griechen. Die haben am Dienstag nur mündlich neue Vorschläge gemacht.

Von Daniel Brössler und Alexander Mühlauer

Schon am Morgen scheint der Tag nicht zu halten, was er verspricht. Jean-Claude Juncker, der Präsident der Europäischen Kommission, redet in Straßburg im Europäischen Parlament. "Dass wir uns jetzt wieder um einen Tisch versammeln, ist eine europäische Selbstverständlichkeit", sagt er über den Griechenland-Gipfel, der dann am frühen Abend in Brüssel beginnen wird. Man werde versuchen, eine Lösung zu finden. Aber: "Diese Lösung wird es nicht heute geben können. Wenn es heute eine Lösung gäbe, wäre es eine zu einfache Lösung." Juncker dämpft also Erwartungen auf eine Rettung oder den großen Knall. Einerseits. Andererseits folgt er freimütig seiner dramatischen Ader. Zeigt seinen Ärger über die griechische Regierung und nicht nur über die. Es dürften schon, so viel wird rasch klar, die Fetzen fliegen an diesem Tag.

Juncker ist ein Mann der Sprache, genauer gesagt der Sprachen. Es stehen ihm mehrere zur Verfügung, und häufig wählt er sie mit Bedacht. Seinen Vortrag beginnt er auf Französisch, doch da geht es noch um Lobeshymnen auf die lettische Ratspräsidentschaft. Als er einige "schnelle Worte" zum Gipfel ankündigt, wechselt er ins Deutsche. In der überregionalen deutschen Presse habe er gelesen, er sei abgetaucht, beschwert er sich. "Ich bin nicht abgetaucht", stellt er klar. Stattdessen habe er nachgedacht, was auch anderen - wie er ätzend formuliert - nicht schaden würde. Nun aber äußere er sich im Parlament, dem Ort der europäischen Demokratie.

Juncker erklärt sich zunächst in eigener Sache. "Man hat die Rolle der Europäischen Kommission heftigst kritisiert in Sachen Griechenland in einigen Mitgliedstaaten, vorwiegend in denen, die dieselbe Sprache sprechen wie die, die ich zur Zeit benutze", sagt er. Für Juncker geht es dabei ums Grundsätzliche, um seine Art der Amtsführung. "Ich bin kein hoher Beamter, ich bin ein politischer Verantwortungsträger", sagt er. Es gehe nicht an, "dass sich in Sachen Griechenland und Zukunft der Euro-Zone jeder äußern darf, nur nicht der Präsident der Europäischen Kommission. Ich lasse mir den Mund nicht verbieten. Ich bin hier gewählt."

Tsipras solle erklären, wie das Referendum zu verstehen sei, fordert der Kommissionschef

Was Juncker da so engagiert verteidigt, ist eine Rede, die - um es vorsichtig zu sagen - ihr Ziel verfehlt hat. Eine Woche vor dem Auftritt im Parlament hatte Juncker am Sitz der Kommission vehement um ein Ja der Griechen geworben und vor einem Signal gegen den Euro und Europa gewarnt. Ob das überwältigende Nein nun ein solches Signal ist, lässt Juncker virtuos offen. "Jetzt sagt jeder, wir haben das Votum der Griechen zu respektieren. Das tue ich auch", sagt er. Aber: "Ich möchte wissen, was dieses Votum heißt. Das ist ja kein Nein zu Europa, wurde gesagt." Auch ein Nein zum Euro solle das Votum nicht sein. Und ein Nein zu den Vorschlägen der Gläubiger könne es eigentlich auch nicht sein, denn die hätten ja gar nicht mehr auf dem Tisch gelegen. "Also hätte ich gerne eine Votumserklärung des griechischen Premierministers. Der Ball liegt überdeutlich im Lager der griechischen Regierung."

"Merkels Bank" - Sprayer sehen die griechische Zentralbank als Bank der Bundeskanzlerin. (Foto: Christopher Furlong/Getty)

In einer Hinsicht ist Juncker allerdings eindeutig. Manche in der EU würden sich ja offen für ein Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro einsetzen, sagt er. "Mein Wille ist, mein Petitum ist", hält er dagegen, "einen Grexit zu verhindern. Ich bin gegen einen Grexit." Später, in der Debatte, ist Juncker intensiv mit seinem Mobiltelefon beschäftigt, was einige Abgeordnete als respektlos rügen. "Hören Sie auf mit dem Geschwätz, dass ich mein Telefon anschaue", blafft Juncker zurück. "Ich tausche SMS mit dem griechischen Regierungschef aus. Ich weiß nicht, ob Sie die Gelegenheit dazu haben, aber ich muss das heute machen."

Am späten Nachmittag dann trifft Juncker den griechischen Premierminister in Brüssel. Und nicht nur er. Bundeskanzlerin Angela Merkel und François Hollande sitzen mit am Tisch. Abends wird der Kreis erweitert. Die Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone wollen von Alexis Tsipras wissen, was er nach dem Nein der Griechen vorhat. Sie wollen wissen, wie er sich die Zukunft des hoch verschuldeten Landes vorstellt. Und vor allem wollen sie wissen, welche Reformen Tsipras umsetzen will, um weiter Geld von den Euro-Partnern zu bekommen.

Denn das ist es ja, was das Land braucht: Geld. Noch mehr Geld. Bereits am Nachmittag ist Tsipras' neuer Finanzminister, Euklid Tsakalotos, zum Treffen der Euro-Gruppe gereist. Als er vor dem Gebäude in Brüssel ankommt, steigt er aus einem VW-Bus, nickt den wartenden Reportern zu, sagt aber nichts. Vor seiner Abreise aus Athen hatte er erklärt: "Ich kann nicht verbergen, dass ich nervös bin." Eine gute Viertelstunde nach ihm erscheint Jeroen Dijsselbloem, Chef der Euro-Gruppe. Er sei gespannt, welche Vorschläge sein neuer Kollege vorlege. Das Problem ist nur: Tsakalotos hat nichts mitgebracht, zumindest nichts Schriftliches. Immerhin, so heißt es aus der Euro-Gruppe, schlägt er sich ziemlich gut. Aber das ist bei einem Vorgänger namens Varoufakis auch gar nicht so schwer. Eigentlich sollte es beim Treffen der Finanzminister um die Frage gehen, wie die Euro-Partner auf die Vorschläge aus Athen reagieren. Ja, eigentlich hätten die Minister den Gipfel vorbereiten sollen. Doch den Finanzministern bleibt nichts anderes übrig, als wieder abzureisen. Im Laufe des Abends, so heißt es aus Athen, sollen neue Vorschläge kommen. Die Euro-Gruppe soll am Mittwoch darüber beraten. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat seine Meinung jedenfalls bereits klar formuliert. Er hält weitere Finanzhilfen nur im Rahmen eines neuen Programms mit Reformvereinbarungen für möglich. "Ohne ein Programm gibt es keine Möglichkeiten, im Namen der Euro-Zone Griechenland zu helfen", sagt Schäuble vor der Euro-Gruppen-Sitzung. Bisher habe Griechenland aber erfolgreich dafür gekämpft, dass es kein Programm gebe. Auf die Frage, ob es einen Schuldenschnitt für Griechenland geben könne, sagt Schäuble: "Wer die europäischen Verträge kennt, weiß, dass ein Schuldenschnitt unter das Bail-out-Verbot fällt." Das Bail-out-Verbot bedeutet, dass Euro-Staaten nur bei besonderen Ausnahmen für die Schulden anderer Länder aufkommen dürfen. Am deutlichsten wird am Gipfeltag Peter Kažimír, der slowakische Finanzminister. Er sagt: "Für meine Regierung ist die Frage nach einem Schuldenschnitt die rote Linie."

© SZ vom 08.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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