Gericht kippt Transsexuellengesetz:Das gefühlte Geschlecht

Die Karlsruher Richter haben das Transsexuellengesetz für verfassungswidrig erklärt. Der Gesetzgeber darf Betroffene nicht mehr zwingen, dass diese sich vor einer Änderung des Rechtsstatus einer operativen Geschlechtsumwandlung unterziehen.

Heribert Prantl

Das Bundesverfassungsgericht hat die wesentlichen Bestimmungen des Transsexuellengesetzes für verfassungswidrig erklärt. Eine Frau oder ein Mann muss sich künftig nicht mehr die Geschlechtsteile entfernen oder umformen lassen, "um die personenstandsrechtliche Anerkennung im empfundenen Geschlecht zu erhalten".

Bundesverfassungsgericht

Die Karlsruher Verfassungsrichter (hier eine Aufnahme aus dem Januar 2010) haben das Transsexuellengesetz mit sofortiger Wirkung für verfassungswidrig erklärt.

(Foto: dapd)

Es sei, so sagten die höchsten deutschen Richter, unzumutbar, von einem Transsexuellen zu verlangen, "dass er sich derartigen risikoreichen, mit möglicherweise dauerhaften gesundheitlichen Schädigungen und Beeinträchtigungen verbundenen Operationen unterzieht, wenn sie medizinisch nicht indiziert sind, um damit die Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit seiner Transsexualität unter Beweis zu stellen".

Transsexualität wird als "Leiden am falschen Körper" definiert. Das deutsche Transsexuellengesetz (TSG) gilt seit 1. Januar 1981. Sein voller Titel lautet: "Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen". Es soll Frauen, die sich als Mann und Männern, die sich als Frau empfinden, die Möglichkeit geben, in der zu ihnen passenden Geschlechtsrolle leben zu können.

Kleine und große Lösungen

Das Gesetz sieht eine so genannte kleine Lösung vor, die es unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt, den oder die Vornamen zu ändern. Die so genannte große Lösung ändert nicht nur die Vornamen, sondern auch die Eintragung im Personenstandsregister. Nach der kleinen Lösung wird zwar beispielsweise aus "Erich" "Ingrid" - aber dahinter bleibt vermerkt "männlichen Geschlechts". Dieser Eintrag wird erst durch die große Lösung verändert, also nach einer operativen Geschlechtsumwandlung.

Dieser Eintrag ist aber allein ausschlaggebend für die die Ehe oder die nichteheliche Partnerschaft. Voraussetzung einer Eheschließung ist die Verschiedengeschlechtlichkeit der Ehegatten. Voraussetzung für die Lebenspartnerschaft ist, dass die Lebenspartner dem gleichen Geschlecht angehören.

Die große Lösung, also die Änderung der Eintragung "männlich" oder "weiblich" im Personenstandsregister, setzte bisher voraus, dass die Person, die die Änderung beantragt "dauernd fortpflanzungsunfähig" ist und "sich einem ihre äußeren Geschlechtsmerkmale verändernden operativen Eingriff unterzogen hat, durch den eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts erreicht worden ist". Der operative Eingriff gilt als nicht ungefährlich; nach den Operationen muss lebenslang eine Hormontherapie durchgeführt werden.

Diese Vorschriften der "großen Lösung" hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts in einem jetzt veröffentlichten und sorgfältig begründeten Urteil vom 11. Januar für unvereinbar mit der Menschenwürde und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit erklärt. Die entsprechenden Passagen des Transsexuellengesetzes wurden mit sofortiger Wirkung aufgehoben; sie sind bis zum Inkrafttreten eines neuen Gesetzes nicht mehr anwendbar. Das Urteil erging mit sechs zu zwei Stimmen, zwei Richter haben also dagegen gestimmt.

Gesetz folgt nicht den Erkenntnissen der Wissenschaft

Das Urteil verweist darauf, dass das Bundesverfassungsgericht schon in seiner Entscheidung vom 6. Dezember 2005 festgestellt habe, dass das Transsexuellengesetz nicht dem heutigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entspricht. Es könne "nicht mehr davon ausgegangen werden, dass das Vorliegen ernsthaft und unumstößlich empfundener Transsexualität allein daran festgestellt werden kann, dass der Betroffene mit allen Mitteln bestrebt ist, seine Geschlechtsorgane und -merkmale als Irrtum der Natur durch operative Geschlechtsumwandlung zu korrigieren".

Die Dauerhaftigkeit und Irreversibilität des empfundenen Geschlechts eines Transsexuellen lasse sich nicht am Grad einer operativen Anpassung der Geschlechtsmerkmale messen, sondern daran, "wie konsequent der Transsexuelle in seinem empfundenen Geschlecht lebt und sich in ihm angekommen fühlt". Operationen könnten nur ein Indiz sein, aber nicht mehr. Das Verlangen des Gesetzgebers nach einer Operation sei eine "übermäßige Anforderung".

Die höchstrichterliche Entscheidung hat eine 62-jährige Frau erwirkt, die als Mann geboren worden ist, einen männlichen Vornamen erhalten hat, sich aber als Angehörige des weiblichen Geschlechts empfindet.

Sie ist homosexuell orientiert und lebt in Partnerschaft mit einer Frau. Sie hat nach den Vorschriften des Transsexuellengesetzes ihre männlichen Vornamen in weibliche Vornamen geändert (so genannte kleine Lösung). Eine Änderung des Personenstandes (große Lösung) wurde aber nicht vorgenommen; sie wird jedoch hormonell behandelt.

In der Geburtsurkunde steht, trotz Änderung der männlichen Vornamen in weibliche, weiterhin "männlichen Geschlechts". Als die Frau daher die Eintragung einer Lebenspartnerschaft begehrte, lehnte das Standesamt Berlin dies ab - weil eine Lebenspartnerschaft nur für zwei Beteiligte des gleichen Geschlechts eingetragen werden könne. Rechtlich sei aber die Antragstellerin noch immer ein Mann.

Dieses Recht wurde nun vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt. Der Gesetzgeber muss die rechtlichen Anforderungen an eine Veränderung des Geschlechts in den amtlichen Registern neu definieren.

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