Verbrechen:Innere Unsicherheit

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Gestellte Szene eines EInbruchs (Foto: dpa)

Taschendiebstahl, Einbruch, Trickbetrug: Die Furcht, Opfer von Kriminellen zu werden, ist so groß wie lange nicht. Die Polizei gilt als überfordert. Wie berechtigt sind die Ängste?

Von Ronen Steinke

Wer von einer Karriere bei der Kriminalpolizei träumt, kann in Berlin künftig ein völlig neues Berufsbild ausprobieren: den Kommissar für hoffnungslose Fälle. Die Hauptstadt-Kripo organisiert sich seit der vergangenen Woche neu. Dabei werden erstmals Einheiten gebildet, die nichts anderes tun sollen, als jene Strafanzeigen zusammenzukehren, die man für aussichtslos erklärt. Das sind viele.

Der Polizeipräsident Klaus Kandt hat jüngst erklärt: Es lohne sich gar nicht erst, Ermittlungen zu starten, wenn zum Beispiel das Opfer eines Taschendiebstahls nicht mitbekommen hat, wo oder wann es bestohlen worden ist. Das heißt, ab ins Altpapier mit solchen Anzeigen, vorher noch kurz zum Staatsanwalt, der solche Ermittlungen routinemäßig einstellen soll. Weitere Arbeit mit ihnen will sich die Polizei künftig ersparen.

Es ist ein Eingeständnis, und immerhin ein ehrliches. Seit Jahren sind die Aufklärungsquoten bei einigen Delikten der Alltagskriminalität sehr niedrig. Das betrifft nicht nur Berlin, sondern alle Regionen in Deutschland. Wer ein Fahrrad oder ein Portemonnaie bei der Polizei als gestohlen meldet, rechnet kaum ernsthaft damit, es wiederzusehen; auch Trickbetrügern kommt man fast nie auf die Schliche. Vor Kurzem hatte schon die Kieler Polizei Empörung ausgelöst: Man werde Diebstähle durch Flüchtlinge nicht mehr bearbeiten, hieß es - mit der Begründung, die Feststellung der Personalien sei oft aussichtslos, also sollten die Beamten nicht ihre Zeit vergeuden. Was die AfD aufschreien und von Kapitulation sprechen ließ.

Während die Gewaltkriminalität in Deutschland seit Jahren sinkt, haben einige Arten von Eigentumsdelikten Auftrieb (siehe Grafik). Taschendiebstahl etwa boomt. Es ist ein vergleichsweise leichtes Delikt, aber ein häufiges, 40 400 Fälle wurden allein in Berlin im vergangenen Jahr angezeigt, ein Rekord. Dabei kommen viele Menschen zum ersten Mal mit der Polizei in Berührung - und erleben, wie wenig ernst der Rechtsstaat sie teils nimmt: "Es kann ein Gefühl von Ohnmacht auslösen, wenn sie kein offenes Ohr finden", kritisiert selbst der Berliner Kriminologe Tobias Singelnstein, beileibe kein Hardliner. Deshalb sei der Umgang mit vermeintlichen Bagatelldelikten keine Kleinigkeit.

SZ-Grafik; Quelle: Polizeiliche Kriminalstatistik (Foto: sz grafik)

Die gestiegene Kriminalitätsfurcht vieler Menschen ist in diesem Jahr mit Händen zu greifen gewesen. Sie zeigt sich in den Anmeldezahlen zum sogenannten kleinen Waffenschein - allein in Bayern gab es eine Verdoppelung gegenüber 2014 - wie auch bei den Ausgaben für Haus-Überwachungskameras: Von 20 Millionen Euro im Jahr 2015 werden sie auf 42 Millionen hochschnellen, schätzt das Branchenmagazin Smart Home. Sie zeigt sich auch in Umfragen. 35 Prozent der 30- bis 59-Jährigen fürchten, Opfer eines Einbruchs zu werden, meldet Allensbach; das ist ein deutlicher Zuwachs. Zum Beginn der dunkleren Jahreszeit bietet die Polizei an diesem Sonntag in einem bundesweiten Aktionstag Nachhilfe, wie man das eigene Haus hochrüsten kann. Die Macher von Smart Home wird es freuen.

Aber selbst wenn der Staat neuerdings Zuschüsse zahlt, muss man sich einbruchsichere Fenster erst leisten können. "Da gewinnt das Recht des Stärkeren und Reichen", schreibt Rainer Wendt, Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, der eher rechts orientierten unter den beiden großen Polizeigewerkschaften, in einem neuen Alarmschläger-Buch. Das Gewaltmonopol des Staates "schmilzt wie Eis in der Sonne", behauptet er. So sehr ihm Fachleute da widersprechen - es sind Spar-Entscheidungen wie jene der Kripo in Kiel und Berlin, die es ihm derzeit leicht machen und sein Buch zum Bestseller.

Die Polizei kapituliert? "Die Polizei kapituliert eigentlich überhaupt nicht", sagt der Kriminologe Singelnstein. Die jüngste Einbruchswelle hat die Polizei aufgerüttelt, sie zieht dagegen alle Register, wenn auch manches Kommissariat, das in den vergangenen Jahren arg zusammengespart worden ist, sich schwertut. Die Strafen für Einbrecher sind in diesem Jahr bereits verschärft worden, die örtlichen Ermittler haben BKA und Europol mit ins Boot geholt. Inzwischen sind viel mehr Streifenwagen unterwegs, einige Länder fahnden im Verbund nach Einbrechern.

Auch ist die Polizei keineswegs auf dem Rückzug aus dem Alltagsleben der Deutschen, wie es Populisten gern suggerieren. Im Gegenteil, in den gelegentlich romantisch verklärten Fünfziger- und Sechzigerjahren wurden Fälle von häuslicher Gewalt oft noch heruntergespielt und als Privatsache abgetan. Heute tritt viel stärker die Polizei auf den Plan. Polizisten haben die Möglichkeit, prügelnde Ehemänner ihrer Wohnung zu verweisen. Solche Einsätze nehmen stark zu. Sie sind gefährlich, aber auch sehr erfolgreich; insgesamt geht die Gewaltkriminalität seither von Jahr zu Jahr zurück. Die rechtsfreien Räume in Deutschland, sie werden nicht größer, eher kleiner.

© SZ vom 29.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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