USA: Obamas Wirtschaftsteam:Techniker der Krise

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Lob von Börsen, Banken und Kongress: Barack Obama hat mit Timothy Geithner und Lawrence Summers erfahrene Pragmatiker in sein Wirtschaftsteam geholt.

Nikolaus Piper

Seit Tagen spielt die New Yorker Börse verrückt, und zwar immer nachmittags um drei. Das Schema wiederholte sich zuletzt mit fast unheimlicher Regelmäßigkeit: Eine Stunde vor Handelsschluss taucht irgendeine Nachricht auf, die die Börsianer entweder in Verzweiflung oder in Euphorie versetzt.

Soll Amerika als Finanzminister aus der Rezession führen: Timothy Geithner, erfahrener Krisenmanager. (Foto: Foto: Reuters)

Am Freitag war es wieder so weit. Gegen 21 Uhr mitteleuropäischer Zeit schoss der Dow-Jones-Index plötzlich in die Höhe.

Diesmal löste der Fernsehsender CNBC die Begeisterung mit der Meldung aus, der gewählte Präsident Barack Obama habe entschieden, wer neuer Finanzminister der Vereinigten Staaten werden soll: der Präsident der Federal Reserve Bank of New York, Timothy Geithner. Bei Börsenschluss um 22 Uhr MEZ hatte der Dow Jones 494 Punkte oder 6,5 Prozent gewonnen.

Die Reaktion der Börse zeigt, welche Bedeutung diese Personalentscheidung hat. Vom nächsten US-Finanzminister hängt es mit ab, wie schnell die Weltwirtschaft aus der größten Krise seit der Großen Depression vor knapp 80 Jahren kommt.

Beide Favoriten eingespannt

Die Wahl Obamas fiel auf einen der erfahrensten Krisenmanager, den er überhaupt finden konnte. Seit Ausbruch der Krise im Sommer 2007 war Geithner in fast alle Entscheidungen von Finanzministerium und Notenbank zur Krisenabwehr involviert. Er galt deshalb schon lange als einer der beiden Favoriten für das schwierige Amt.

Der zweite Favorit, Larry Summers, der schon unter Präsident Bill Clinton einmal Finanzminister war, wird oberster Wirtschaftsberater des neuen Präsidenten. Den Finanzmärkten signalisierte Obama damit, dass er auf reibungslosen Übergang, Pragmatismus und Professionalität setzt.

Geithner gehört zu den Männern, die auf den ersten Blick leicht unterschätzt werden. Mit seinen 47 Jahren wirkt er immer noch so jungenhaft wie der Ökonomiestudent von der Johns-Hopkins-Universität, der er einmal war. In der Öffentlichkeit ist er weitgehend unbekannt, umso größer ist sein Einfluss an der Wall Street. Für seine Position gibt es in Deutschland kein Pendant.

Die New York Fed ist, rein formal, eine regionale Gliederung der Notenbank Federal Reserve, ähnlich wie die Deutsche Bundesbank innerhalb der Europäischen Zentralbank. Weil die New Yorker Notenbank jedoch automatisch zuständig für die Wall Street ist, fällt deren Präsidenten eine Schlüsselfunktion zu: Er muss als erster in Erfahrung bringen, wenn an den Finanzmärkten etwas schief läuft und dann auf Abhilfe sinnen.

Zusammen mit dem amtierenden Finanzminister Henry Paulson und Notenbankchef Ben Bernanke hat Geithner seit 18 Monaten die Krisenpolitik der USA bestimmt, wobei er vor allem die Rolle des wenig sichtbaren Technikers der Krise ausfüllte.

Wie wichtig er dabei war, lässt sich schon allein daran erkennen, dass ein Berater John McCains bekannte, auch der Republikaner hätte im Falle eines Wahlsieges Geithner in die engere Wahl einbezogen.

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Geithner drängte zum Beispiel darauf, dass die Notenbank Fed nach Ausbruch der Krise schnell und aggressiv Geld in die Wirtschaft pumpte. Er wirkte an der Rettung der Investmentbank Bear Stearns im März ebenso mit wie an der verhängnisvollen Entscheidung vom September, die Bank Lehman Brothers untergehen zu lassen.

In der Rückschau war dies ein katastrophaler Fehler, denn mit dem Zusammenbruch von Lehman begann die gefährliche Abwärtsspirale der Weltwirtschaft. Dieser Fehler schadete Geithner letztlich nicht, vermutlich deshalb, weil es niemand von Rang gab, der damals anders entschieden hätte.

Aus Geithners bisheriger Krisenpolitik kann man Rückschlüsse darauf ziehen, wie er als Minister agieren wird. Bei der Neuordnung der Finanzmärkte gehe es darum, die Höhe und die Konzentration von Risiken zu begrenzen, sagte er im Juni während einer programmatischen Rede.

Das sei genauso, "wie wenn man Tempolimits einführt und Airbags und Antiblockiersysteme in Autos vorschreibt oder Bauvorschriften in Erdbebengebieten erlässt". Banken seien "Stoßdämpfer" des Systems, die man stärken müsse.

Dagegen dürfte Geithner ein schwieriger Partner werden, wenn die Europäer auf einer möglichst detaillierten und globalen Bankenaufsicht beharren. Es sei unvernünftig, ein System anzustreben, in dem es gar keine Risiken mehr gibt, sagte Geithner im vorigen Jahr der Süddeutschen Zeitung.

Geithners Nominierung ist auch insofern bemerkenswert, als er weder eine politische noch eine Bank-Karriere hinter sich hat. Nach dem Studium heuerte er zunächst beim früheren Außenminister Henry Kissinger in dessen Kanzlei an und wechselte 1988 ins Finanzministerium.

Unter den Ministern Robert Rubin und Larry Summers hatte er erstmals mit Krisenmanagement zu tun. Als Staatssekretär wirkte er Ende der neunziger Jahre an der Lösung der Mexiko- und der Asienkrise mit.

Auch Summers, Geithners früherer Chef, galt zuletzt als heißer Kandidat für das Finanzministerium im Kabinett Obama. Er war einer der engsten Wirtschaftsberater in Obamas Wahlkampf. Gegen ihn sprach möglicherweise, dass er 1999 an der Deregulierung der Finanzmärkte mitgewirkt hatte, was der Öffentlichkeit heute schwer zu vermitteln wäre. Außerdem verfügt Summers über ein großes Talent, andere gegen sich aufzubringen.

So musste er als Präsident der Harvard-Universität zurücktreten, nachdem er in insinuiert hatte, Frauen verstünden von Natur aus weniger von Mathematik und Naturwissenschaften. Trotzdem bleibt Summers ein weltweit anerkannter Ökonom und wird jetzt als Direktor des Nationalen Wirtschaftsrates den Kurs des Präsidenten maßgeblich beeinflussen.

Neuer Wirtschaftsminister wird der Gouverneur von New Mexico, Bill Richardson. Der demokratische Politiker war Energieminister unter Bill Clinton und hatte sich zunächst selbst um das Amt des Präsidenten beworben. Den Rest seines Wirtschaftsteams wird Obama an diesem Montag präsentieren.

© SZ vom 24.11.2008/cag/odg - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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