USA:Hoher Einsatz in Afghanistan

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Der Abzugsplan klang gut, aber nach dem Wiedererstarken der Taliban debattieren die USA nun, ob ihre Soldaten nicht doch bleiben sollen. Obama bringt die Frage in ein innenpolitisches Dilemma.

Von Sacha Batthyany, Washington

Es brauchte ein tragisches Unglück, wie den Tod von 22 Zivilisten, darunter Ärzte, Patienten und Kinder, um die Amerikaner daran zu erinnern, dass der Krieg in Afghanistan noch lange nicht vorbei ist. Noch im Mai 2014 trat Präsident Barack Obama erleichtert vor die Medien und kündigte an, amerikanische Truppen schrittweise aus dem Land abzuziehen: Von einst 34 000 Soldaten sollten 9800 bis 2015 im Land bleiben, ein Jahr später nur noch ungefähr 1000 Soldaten, die vorwiegend die Aufgabe hätten, die amerikanische Botschaft in Kabul zu bewachen. "Afghanistan steht auf eigenen Beinen", sagte Obama, "wir beenden heute den Job, den wir nach den Terroranschlägen am 11. September begannen und bringen unsere Soldaten nach Hause." Doch der Einmarsch der Taliban in Kundus vergangene Woche und das Bombardement auf das Trauma-Krankenhaus der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) werfen Fragen auf, ob der Rückzug nicht zu früh begann, ob der Aufbau afghanischer Streitkräfte nicht gescheitert ist - und sie bringen Obama in eine schwierige Situation.

Soll er sein Versprechen halten und den amerikanischen Einsatz in Afghanistan beenden? Dagegen sprach sich sein General John Campbell aus, Befehlshaber der US-Truppen in Afghanistan, der wegen der Tragödie rund um das MSF-Krankenhaus in Kundus vor einen Kongressausschuss treten musste. "Die Situation hat sich verändert", sagte Campbell. In jüngster Zeit habe es vermehrt Angriffen der Taliban gegeben, ein Wiedererstarken von al-Qaida, den Aufstieg der Terrormiliz Islamischer Staat. "Ich denke, wir müssen den Plan den neuen Verhältnissen angleichen und mehr Soldaten im Land belassen als vorgesehen."

Die Meinung, die afghanische Armee sei zu schwach, um Angriffen der Taliban abzuwehren, und ihre Loyalität zu Präsident Mohammad Ashraf Ghani in Kabul zu brüchig, ist weit verbreitet. Senator John McCain etwa, Vorsitzender des Ausschusses für die Streitkräfte, meinte, der Rückzug der Truppen würde ähnlich wie im Irak ein Vakuum schaffen, "und wohin das führt, sehen wir mit dem IS heute."

Die Washington Post berichtete, dass Obama seinen Plan überdenke, und zitierte eine Quelle aus Militärkreisen, wonach er mit dem Gedanken spiele, 5000 Soldaten im Land zurückzulassen. Jede Abweichung seines Versprechens aber, amerikanische Soldaten "heimzubringen", würde ihm von seinen Kritikern als Schwäche angelastet und als Eingeständnis, Fehler begangen zu haben, nicht nur in Afghanistan, auch im Irak, wo er ähnlich vorging. "Obama versucht, einen Krieg zu beenden, der auf beiden Seiten unzählige Todesopfer gefordert hat. Gleichzeitig will er dafür sorgen, dass Afghanistan sich selbst verteidigen kann. Diese Strategie ist jetzt aus der Balance gefallen", sagte Scott Smith vom Institute of Piece. "Wenn die amerikanischen Truppen nun bleiben, sieht das wie eine Panikreaktion Obamas aus. Hätte er sich früher dafür entschieden, hätte er das als Solidarität mit der Regierung Ghanis rechtfertigen können." Mit anderen Worten, so Smith: "Obama kann im Moment nur verlieren."

© SZ vom 08.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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