USA:"Alle reden nur"

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In Charleston trauern Hunderte vor der Emanuel-AME-Kirche, dem Ort des Attentats. Indes zeigt ein Manifest, wie hasserfüllt der Täter gewesen sein muss.

Von Sacha Batthyany, Charleston

Die afroamerikanische Kirche "Mutter Emanuel" in Charleston ist seit Sonntagmorgen wieder offen. Der 21-jährige Dylann Roof hatte hier am Mittwoch neun Menschen erschossen. "Der Ansturm dürfte den ganzen Tag über groß sein", sagte Harold Washington, ein Mitglied der Kirchengemeinde. "Jeder ist willkommen." Unter den Opfern befand sich auch Pastor Clementa C. Pinckney, eine spirituelle und politische Leitfigur Charlestons, über dessen Stuhl am Sonntag während des Gottesdienstes ein schwarzes Tuch hing.

Während das ganze Wochenende über Hunderte von Menschen vor die Kirche kamen, um zu beten und ihre Solidarität mit den Angehörigen und der afroamerikanischen Gemeinschaft kundzutun, wurden immer mehr Details aus einem Manifest bekannt, das aller Wahrscheinlichkeit nach von Dylann Roof stammt. Die Webseite, auf der der Text erschien, wurde am 9. Februar unter seinem Namen registriert und trug die Überschrift "Der letzte Rhodesier" - eine Anspielung auf das einstige Apartheid-Regime im heutigen Simbabwe. Gemäß Webserver-Protokoll wurde das Manifest am Mittwochnachmittag vergangener Woche zum letzten Mal verändert, jenem Tag, an dem Dylann Roof das Attentat in der Kirche verübte. Der vorletzte Satz lautet: "Ich hätte noch viel zu sagen, aber ich bin, während ich das hier schreibe, ein wenig in Eile." Es endet mit der Anmerkung: "Tut mir leid für die Tippfehler."

Der Inhalt lässt keinen Zweifel offen, dass Dylann Roof seine Tat geplant hatte, auch die Symbolik des Tatorts war ihm bewusst. Die Emanuel-AME-Kirche gilt als größtes und ältestes Gotteshaus schwarzer Gläubiger im amerikanischen Süden. "Ich habe Charleston gewählt, weil es die geschichtsträchtigste Stadt South Carolinas ist. Sie hatte das extremste Mengenverhältnis von Schwarzen zu Weißen im ganzen Land. (...) Wir haben hier keine Skinheads und keinen echten Ku-Klux-Klan, niemand hat den Mut, etwas zu unternehmen. Alle reden nur, also muss ich es tun."

Die Aussagen im Manifest sind getränkt von blankem Rassismus und Hass. Schwarze hätten einen niedrigen IQ und würden das Land übernehmen, die Latinos gehören ebenso zu "unseren Feinden" wie die Juden, die es zu zerstören gelte. Außerdem zieht der Autor über jene Weißen her, die es sich in den Vororten, "diesem Symbol der Feigheit", bequem gemacht hätten "auf der Suche nach guten Schulen". Dylann Roof, der mutmaßliche Verfasser des Textes, der sich nach Aussagen eines Überlebenden am Ende selbst hinrichten wollte, ging in der neunten Klasse von der Schule ab. Er soll zuletzt mit Freunden in einem Wohnwagen in der Stadt Red Bank, South Carolina, gelebt haben und laut Gerichtsakten aus zerrütteten Familienverhältnissen stammen. Ein Freund der Familie beschrieb das Verhältnis zu seinem Vater als "kalt und angespannt".

Auf der Webseite, die mittlerweile gesperrt ist, befanden sich auch rund 60 Fotos. Einmal verbrennt er eine amerikanische Flagge, das andere Mal posiert er mit seiner Waffe. Zu sehen war auch ein Bild der Zahl 88, in den Sand geschrieben. H ist der achte Buchstabe des Alphabets, 88 steht für Heil Hitler.

Das Attentat in Charleston löste eine landesweite Diskussion über den Gebrauch von Schusswaffen aus, die aber wohl wieder folgenlos bleiben wird. Die Tat wird außerdem mit den jüngsten Erschießungen schwarzer Jugendlicher durch weiße Polizisten in Verbindung gebracht. Auch der Autor des Manifests nimmt darauf Bezug. Der "Fall Trayvon Martin" sei eine Art Erweckung gewesen. Martin, ein Highschool-Schüler, wurde am 26. Februar 2012 in Florida erschossen.

Im ganzen Land kamen derweil Menschen zusammen, um gegen Rassismus zu demonstrieren. In Washington forderten Hunderte die Verbannung der Konföderierten-Flagge - also des Symbols der Südstaaten im US-Bürgerkrieg -, die auch auf Roofs Nummernschild prangte. In Utah musste sich eine Baseball-Mannschaft öffentlich entschuldigen, nachdem bekannt wurde, dass sie ein "Kaukasien-Fest" feiern wollte, in Andenken an das weiße Erbe ihrer Vorfahren.

In Charleston zeigten sich die Angehörigen der neun Opfer zu Vergebung bereit. "Wir haben dich mit offenen Armen in der Bibelstunde empfangen", sagte etwa Felicia Sanders, die den Anschlag überlebte, aber ihren Sohn verlor. "Du hast einige der wundervollsten Menschen getötet, die ich kenne. Jede Faser meines Körpers schmerzt. Möge Gott mit dir Erbarmen haben." Am Nachmittag wurden 3000 Menschen in Charleston erwartet, die über die Brücke der Stadt eine Menschenkette bilden wollten, bis auf die andere Seite nach Mount Pleasant, um Zusammenhalt zu zeigen.

© SZ vom 22.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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