US-Wahl:Der Kandidat als Comic-Held

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Biographien in Bilderstreifen: wie ein US-Comicverlag die Lebenswege der Präsidentschaftskandidaten McCain und Obama nachzeichnet.

Daniel Wüllner

Und täglich grüßt das Meinungsbild: Tag für Tag präsentieren unzählige Forschungsinstitute neue Hochrechnungen der Wählergunst und bestimmen so den Alltag im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf. Nach jeder neuen Debatte werden die Reaktionen der Wähler eingegeben und ausgewertet.

Barack Obama als Comic-Held: Das Leben des demokratischen Präsidentschaftskandidaten wurde nachgezeichnet. Die wichtigen Stationen seiner Karriere dürfen natürlich nicht fehlen. (Foto: Foto: IDW-Publishing)

In geradezu skurriler Art und Weise fanden diese Voraussagungen ihren Höhepunkt bei den TV-Duellen. Während der ersten Debatte in der Harvard-Universität wurde den Zuschauern am unteren Bildschirmrand ein Stimmungsbarometer gezeigt, das wortgenau die Reaktionen des anwesenden Publikums aufzeichnete. Wie nun aber ein Ausschlag bei einem Wort wie "Irak" zu bewerten ist, bleibt für immer das Geheimnis der Umfrageinstitute.

Eine neue Form der Hochrechnung bietet hingegen der amerikanische Comicverlag IDW Publishing ("Idea and Design Works"). Laut der Prognose, die der Verlag bis zum 9. Oktober auf seiner Homepage präsentierte, hätte das amerikanische Volk Barack Obama einen Monat vor der eigentlichen Wahl zum Präsidenten gekürt. Gemäß dieser Zahlen lag Obama, Kandidat der Demokraten, mit 48 Prozent vor seinem Kontrahenten, dem Republikaner John McCain, der auf 34 Prozent kam. Nur 17 Prozent waren noch unentschieden.

Errechnet wurde das Ergebnis aus der Anzahl der Vorbestellungen für zwei Hefte, die der Verlag seit drei Monaten ankündigt: zwei Comics, in denen das Leben der beiden Präsidentschaftskandidaten buchstäblich nachgezeichnet wurde.

Die Idee für das Projekt entstand, als Scott Dunbier, zuständig für "Special Projects" bei IDW, vor ein paar Monaten mit seinen Kollegen über die Möglichkeit sprach, die amerikanischen Bürger mit Comics zum Wählen zu motivieren. Was zunächst nur als Witz bei einer Redaktionssitzung gedacht war, so Dunbier zu sueddeutsche.de, wurde vergangene Woche unter dem Titel " Presidential Material" verwirklicht. Auf 32 bunten Seiten verfassten die beiden Autoren Jeff Mariotte (für Obama) und Andy Helfer (für McCain) nach eingehender Recherche die Biographien der Kandidaten in Form eines Comics.

In beiden Biographien gehen die Autoren zunächst von einem Moment der Krise aus, um den Bogen in die Vergangenheit des jeweiligen Kandidaten zu schlagen und so die bisherigen Lebenswege nachzuzeichnen. Während dieses Ereignis im Fall Obamas der langerwartete Super Tuesday ist, beginnt Helfer mit einer Szene aus McCains Kriegsgefangenschaft in Hanoi.

Dunbier war es wichtig, dass die Autoren die menschliche Seite der beiden Kandidaten aufzeigen. Die Comics sollen seiner Meinung nach das Wahlergebnis nur dahingehend beeinflussen, dass Wähler nach dem Lesen der Comics eine informierte Wahl treffen können. Die Leser sollen ihre Entscheidung aber natürlich nicht allein aufgrund der Comics treffen.

Mit Hilfe von Zeitungsartikeln und Zitaten aus den Büchern beider Kandidaten füllen Helfer und Mariotte die Seiten mit Informationen. Wie auch in reinen Text-Biographien werden die allgemeinen Fakten herangezogen und mit Erläuterungen und kurzen Interpretationen ergänzt. Welche Akzente in der jeweiligen Biographie gesetzt wurden, blieb allein den Autoren überlassen.

Während die Jugend der Kandidaten im Vergleich zum Rest ihres Lebens in die Länge gezogen wird, schaffen es Obama und McCain dafür umso schneller vom unbekannten Kandidaten zum Senator.

Dennoch nehmen sich die Autoren auch immer wieder Zeit, Schlüsselmomente im Leben von Obama und McCain zu erzählen. So wird Obamas Rede gegen den Irak-Krieg zu einer graphischen Reminiszenz an Martin Luther Kings "I have a dream"-Ansprache vor dem Lincoln Memorial.

Auch der Zeichner der McCain-Biographie, Stephen Thompson, ergänzte den sonst recht biederen Stil durch actionlastige Bilder, auf denen sich der junge Navy-Pilot McCain gerade noch aus seinem explodierenden Flugzeug retten kann. Bei einem weiteren Zwischenfall soll McCain sogar mit seinem Flugzeug die Stromversorgung von halb Spanien lahmgelegt haben.

McCain und Obama als Roboter

Abgesehen von diesen graphisch einfallsreichen Ausflügen arbeiten die beiden Zeichner Stephen Thompson und Tom Morgan ihren Autoren zu. Die Bilder sollen nicht von den Texten ablenken, sondern diese ergänzen. So bleibt in den Textboxen viel Platz für Ausführungen, Begründungen und Erklärungsversuche.

Der Nachteil dieser Erzählweise: Die recht bieder gezeichneten Figuren der Kandidaten wirken wie Roboter, die vorbei an Textboxen und Sprechblasen durch ihre Vergangenheit gesteuert werden, nur um an den richtigen Stellen ihre auswendig gelernten Zitate auszuspucken.

So stehen vor allem die rhetorischen Einlagen der Kandidaten selbst im Mittelpunkt. Obama bekommt von seiner Mutter als Jugendlicher eine Botschaft mit auf den Weg: "Embrace the difference!" ("Akzeptiere die Unterschiede!"). Erst durch diesen Ausspruch und die Aufarbeitung seiner Herkunft konnte Obama seine eigene Erfolgsgeschichte schreiben, die laut Comic nur in Amerika passieren konnte ("A story that could only happen in the United States of America") und die ihn auf den Weg ins amerikanische Präsidentenamt führte.

Auch in der Biographie von John McCain spielt Rhetorik eine wichtige Rolle. So bekommt er ähnlich früh wie Obama seinen eigenen Leitspruch, "Destiny to fulfill" ("Eine Berufung, die es zu erfüllen gilt"). Der Entschluss, seine eigene Berufung anzunehmen, wirkt in Bezug auf McCains Lebenslauf mehr wie eine Bürde als eine bewusste Entscheidung zur Präsidentschaftskandidatur.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, welche Bedeutung die amerikanische Populärkultur für die Präsidentschaftswahl hat.

US-Wahl
:Der Kandidat als Comic-Held

Biographien in Bilderstreifen: wie ein US-Comicverlag die Lebenswege der Präsidentschaftskandidaten McCain und Obama nachzeichnet.

Daniel Wüllner

Die aufwändigste Arbeit an den Comics, so Scott Dunbier, stellte das Überprüfen von Fakten dar. Ein Verlag wie IDW hatte bisher nur mit fiktiven Geschichten wie der Comicvorlage für den Horrorfilm "30 Days of Night" zu tun. Nun musste der Verlag sichergehen, bei dieser Veröffentlichung nicht verklagt zu werden: Keiner der Biographen scheute sich, auch die dunklen Seiten der jeweiligen Aspiranten zu präsentieren.

Beinahe siegessicher sieht John McCain auf dem Cover des Comics aus, während sein Gegner mit düsterem Blick in eine ungewisse Zukunft blickt. (Foto: Foto: IDW-Publishing)

So werden im Fall von McCain sowohl seine nicht sehr glückliche Zeit als Navy-Pilot gezeigt als auch der Skandal um die "Keating Five" nacherzählt, in den McCain Ende der achtziger Jahre verwickelt war.

Im Leben von Barack Obama sind diese unschönen Szenen laut Jeff Mariotte die unvorteilhaften Aussagen seiner Freunde und Angehörigen. So gab Michelle Obama zu verstehen, dass sie nach den Auftritten ihres Mannes zum allerersten Mal stolz auf ihr Land ist. Im Gegensatz zur derzeit laufenden Kampagne halten sich die Autoren der Comics beim Aufdecken solcher Geschichte aber die Waage.

Ebenso unparteiisch zeigt sich Dunbier bei der Gestaltung des Covers. Starzeichner J. Scott Campbell wurde beauftragt, beide Kandidaten in Szene zu setzen. Die Cover der beiden Comics zieren nun die energischen Posen von Barack Obama und John McCain. Während der junge Senator von Illinois mit finsterer Miene in eine unbestimmte Zukunft blickt, lächelt McCain siegessicher nach rechts.

"Rock the Vote!"

Verstärkt wird diese Dualität in einer Sonderausgabe des Comics, einem Flipbook, bei dem die Biographien vom republikanischen und vom demokratischen Präsidentschaftskandidaten Seite an Seite stehen.

Angesichts der vielen Gemeinsamkeiten der beiden Persönlichkeiten ist diese Analogie nicht ungewöhnlich. So beschreiben Mariotte und Helfer nicht nur die wilden Zeiten der Kandidaten, sondern weisen auch explizit auf die parteiübergreifenden Beschlüsse der beiden hin.

Die amerikanische Populärkultur und das Thema Präsidentschaftswahl sind schon seit langem eng miteinander verstrickt. Von den politischen Karikaturen eines Thomas Nast Ende des neunzehnten Jahrhunderts bis hin zu den "Fireside-Chats" von Franklin D. Roosevelt wurden verschiedene kreative Wege genutzt, um die Bürger zu mehr politischem Engagement aufzufordern.

Seit der vergangenen Wahl hat auch die Jugendkultur, vertreten durch den Fernsehsender MTV, die Wahl für sich entdeckt. Die Aufforderung "Rock the Vote!" ("Rockt die Wahl!") ließ sich aus den Mündern von Popstars wie Christina Aguilera vernehmen. Aus diesem Grund hat man sich bei IDW dazu entschieden, die Comics auch als "Online Content" für Handys anzubieten.

Die Wahl zwischen dem neuen Medium und dem gedruckten Comic scheint im Gegensatz zur Präsidentschaftswahl ungleich einfacher auszufallen. Auf die Frage, wen sich Scott Dunbier als nächsten Präsidenten wünscht, gibt er zu verstehen, dass er dies in Anbetracht seiner Arbeit nicht beantworten möchte. Einen Wunsch hat Dunbier aber doch: Er hätte gerne zwei von beiden Kandidaten signierte Comics, egal wer am Ende das Rennen machen wird.

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