US-Regierung im Syrien-Konflikt:Die Alleingänger

US-Regierung im Syrien-Konflikt: Der amerikanische Präsident Barack Obama (re.) bespricht die Situation in Syrien mit seinen Beratern, unter ihnen Außenminster John Kerrey und Vizepräsident Joe Biden.

Der amerikanische Präsident Barack Obama (re.) bespricht die Situation in Syrien mit seinen Beratern, unter ihnen Außenminster John Kerrey und Vizepräsident Joe Biden.

(Foto: AFP)

US-Präsident Obama und sein Außenminister zeigen sich immer entschlossener, in den syrischen Bürgerkrieg einzugreifen. Doch im eigenen Land wächst die Skepsis: Das Parlament fühlt sich übergangen, Experten zweifeln an der Strategie, Soldaten warnen vor den Risiken - und die Bürger sind ohnehin gegen jedes neue US-Abenteuer im Nahen Osten.

Von Nicolas Richter, Washington

Der Präsident ließ sich nicht den geringsten Zweifel anmerken, nicht einmal Erstaunen. Gerade hatte er mit Großbritannien seinen wichtigsten ausländischen Verbündeten verloren, da war schon aus dem Weißen Haus zu hören, dass Barack Obama entschlossen sei, Syrien notfalls auch allein anzugreifen.

Am Freitag dann hielt sein Außenminister John Kerry zum zweiten Mal in dieser Woche ein kompromissloses Plädoyer dafür, das syrische Regime wegen des mutmaßlichen Einsatzes von Chemiewaffen zu bestrafen. Die USA, stellte Kerry klar, träfen ihre eigenen Entscheidungen, sie seien weder von den Vereinten Nationen abhängig noch von ihren Verbündeten. Es könnte also auf einen militärischen Alleingang der USA hinauslaufen. Allenfalls Frankreich dürfte sich anschließen.

Zeugen, Informationen, Satellitenbilder

Kerry legte jene Indizienkette vor, die aus Sicht der USA beweisen soll, dass Syriens Regime vor zehn Tagen Chemiewaffen gegen das eigene Volk verwendet hat. Zeugen, Informanten und Satellitenbilder zeigten, dass das Regime den Angriff schon Tage vorher vorbereitet habe. Die USA wüssten, wann und von wo das syrische Militär die mit Nervengift gefüllten Raketen abgefeuert habe. Sie seien in den Morgenstunden des 21. August aus einem Gebiet aufgestiegen, das vom Regime kontrolliert werde, und in einer Gegend eingeschlagen, die von der Opposition beherrscht werde. Die Kampfstoffe hätten 1429 Menschen getötet. Nach dem Angriff seien die Chemiewaffenexperten angewiesen worden, ihre Arbeit einzustellen. Außerdem habe das Militär das betroffene Viertel unter massiven Beschuss genommen, um Beweise zu vernichten.

In einem Gespräch mit Reportern erklärten Experten im Weißen Haus, sie hätten keinen Beweis dafür, dass Syriens Präsident Assad selbst den Befehl gegeben habe. Doch sei davon auszugehen: Geschichte und Struktur des Chemiewaffen-Programms zeigten, dass der Präsident das letzte Wort habe und dass alle Verantwortlichen danach ausgesucht würden, ob sie zuverlässig und regimetreu seien. Kerry erklärte, dass die USA keine weiteren Beweise benötigten; die Ergebnisse der UN-Inspektoren, die derzeit Proben aus Damaskus auswerten, seien irrelevant.

Angriff kaum noch zu vermeiden

Obama erklärte am Freitagnachmittag, er habe noch keine endgültige Entscheidung über einen Militärschlag getroffen. Allerdings legt das Auftreten Obamas und Kerrys in den vergangenen Tagen den Eindruck nahe, dass ein amerikanischer Angriff kaum noch zu vermeiden ist.

Zugleich ist jüngst in den USA die Skepsis am Kurs Obamas gewachsen. Das Parlament fühlt sich übergangen, Experten zweifeln an der Strategie, Soldaten warnen vor den Risiken, und die Bürger sind laut Umfragen ohnehin gegen jedes neue US-Abenteuer im Nahen Osten. Besonders scheint es viele Bürger zu befremden, dass Obama womöglich das Parlament umgehen möchte. Laut einer Umfrage erklären 79 Prozent der Bürger, dass der Kongress einem Militäreinsatz zustimmen müsse. Obama verspricht derzeit nur, den Kongress zu informieren.

Liste voller Fragen

John Boehner, Anführer der republikanischen Mehrheit im Abgeordnetenhaus, schickte Obama einen Brief mit einer ganzen Liste von Fragen. Sollte der Präsident das Militär einsetzen, müsse er klar und eindeutig erklären, inwiefern Gewalt amerikanische Ziele erreiche, und wie sich dies allgemein in die Politik des Präsidenten einfüge. Auch 50 Abgeordnete der Demokraten machten ein Recht auf Mitsprache geltend. Das Parlament habe laut Verfassung die Pflicht, über Militärgewalt zu befinden, und Obama solle eine Erlaubnis einholen, bevor er die Streitkräfte einsetze in einer "komplexen Krise".

Die Grenzen präsidentieller Macht sind umstritten. Vor dem Angriff auf Libyen verzichtete Obama auf den Kongress und verwies auf seine Vollmachten als Oberbefehlshaber. Im Libyen-Konflikt immerhin hatte Obama den UN-Sicherheitsrat davon überzeugen können, das Mandat zur Schaffung einer Flugverbotszone zu erteilen. Jetzt aber befürworten weder die UN noch Großbritannien, die Arabische Liga oder die amerikanische Öffentlichkeit einen Militärschlag gegen Syrien.

Der isolierte Präsident

Der Präsident wirkt isoliert, sieht sich aber anscheinend zu einer Form von Vergeltung gezwungen. Nach seiner Darstellung hat das Regime in Damaskus Giftgas gegen das eigene Volk eingesetzt und damit eine "rote Linie" überschritten, die er im vergangenen Jahr gezogen hatte. Auf die Frage nach der fehlenden internationalen Unterstützung für einen Militärschlag sagte Obama am Freitag: "Viele Leute denken, dass man etwas tun muss, aber niemand will es tun." Kerry sagte, dass Nichtstun keine Option sei, denn es schaffe einen Präzedenzfall. Despoten könnten sich ermutigt fühlen, jede Norm zu ignorieren.

Doch die Öffentlichkeit ist seit dem Irak-Krieg skeptischer gegenüber ihrem Oberbefehlshaber, und auch einige Medien sind entschlossen, sich anders als 2003 nicht von der Regierung blenden zu lassen. Auf ihrer Meinungsseite verlangte die New York Times am Donnerstag eine überzeugende juristische und strategische Begründung für einen Militärschlag. Auch im Militär scheinen die Sorgen vor einer Eskalation zu wachsen.

Kein Vergleich zum Irak

Heutige und frühere Offiziere weisen auf die schmerzhaften Lektionen hin, die Amerika zuletzt in Afghanistan und im Irak lernen musste. "Es gibt eine große Naivität in der politischen Klasse über Amerikas außenpolitische Pflichten und eine erschreckend schlichte Vorstellung davon, was amerikanische Militärmacht erreichen kann", sagte der pensionierte Offizier Gregory Newbold, der einst an der Planung für den Irak-Krieg beteiligt war, der Washington Post.

Das Weiße Haus versucht die Bedenken mit dem Hinweis zu zerstreuen, dass der Fall Syrien 2013 nichts mit dem Fall Irak 2003 zu tun habe. Damals hätten die USA ein ganzes Land erobert, um das Regime zu entmachten. Heute sollten nur einige Raketen aus sicherer Entfernung abgefeuert werden, um das Regime vor einem weiteren Giftgaseinsatz zu warnen. Obama hat dies einen "Schuss vor den Bug" genannt, obwohl die Marschflugkörper wohl nicht im Wasser landen, sondern militärische Einrichtungen in Syrien treffen dürften.

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