Urteile:Zweite Chance für Terroristen

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Einige IS-Helfer kommen in Deutschland mit Bewährungsstrafen davon. Das liegt nicht nur an der Beweislage.

Von Ronen Steinke

Wie hoch soll die Strafe sein, wenn jemand die Gewaltherrschaft des "Islamischen Staates" unterstützt hat? Wenn er die Unterdrückung von Millionen Menschen im Nahen Osten mit ermöglicht hat? Zwölf Jahre Gefängnis? Acht Jahre? Nicht immer muss es so ausgehen wie im Fall des jungen IS-Anhängers Bilal C. aus Algerien. Er hatte die Attentäter vom Pariser Bataclan unterstützt. Die deutsche Justiz griff ihn im April 2016 in Aachen auf. Sie entschied dann, den französischen Kollegen den Vortritt zu lassen. In Deutschland wäre Bilal C. noch unter Jugendstrafrecht gefallen. Das bedeutet den Vorrang von Erziehung vor Härte. "Das hat ein wieherndes Lachen bei den Franzosen hervorgerufen", erinnert sich ein deutscher Strafverfolger.

Es gebe Möglichkeiten, "Einzelne zu erreichen", sagt der Generalbundesanwalt

Tatsächlich fallen die Strafen in Deutschland im Vergleich zu Frankreich oder Großbritannien oft milde aus. Mal kommen hierzulande - nach Erwachsenenstrafrecht - drei oder vier Jahre Haft heraus für ein IS-Mitglied, das sich "nur" im Nahen Osten, aber nicht in Europa an Gewalt beteiligt hat. Selten sind es mehr als fünf. Das zeigt eine interne Aufstellung der Bundesanwaltschaft. Einige IS-Anhänger sind auch mit Bewährungsstrafen davongekommen. Zum Beispiel der Deutsche Mounir R., der Russe Yusup G. und der Deutschmarokkaner Azzadine A. H., die laut Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf IS-Freiwillige nach Raqqa geschleust hatten.

Diese Milde hat einerseits juristische Gründe. Weil die Beweislage oft dürftig ist, können Richter manchmal nur feststellen: Der Angeklagte hat irgendwie mitgemacht beim IS in Syrien. Details sind unklar. Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung, so heißt der Tatbestand des Strafgesetzbuchs, mit dem sich Juristen dann behelfen können. Das ist sehr vage. "Denken Sie an Mord. Denken Sie an die Gräuel an den Jesidinnen", sagt der Chef des Bremer Landeskriminalamts, Daniel Heinke. Diese Taten würden, wenn man sie nachweisen könnte, viel längere Gefängnisstrafen nach sich ziehen.

Der zweite Grund: Während britische, belgische oder auch österreichische Behörden kurzerhand IS-Kämpfer ausbürgern, um sie an der Rückkehr zu hindern, halten deutsche Gerichte oft an der Idee einer zweiten Chance fest. "Wer bereit ist, in den Tod zu gehen, der hat vielleicht keine Angst vor Strafe", sagt der Generalbundesanwalt, Peter Frank. "Trotzdem gibt es Möglichkeiten, Einzelne zu erreichen." Die meisten Dschihadreisenden seien noch jung, "es gibt die Naiven, die desillusioniert zurückkommen", so hat es ein erfahrener Ermittler kürzlich zusammengefasst, "es gibt diejenigen, die sich vom Kampf nur kurz ausruhen und ihren Ruhm in der Szene genießen wollen, und es gibt diejenigen, die in Deutschland weiterkämpfen wollen". Zumindest für die Naiven wollen Juristen hin und wieder auch eine Brücke bauen.

Der Deutschtürke Anil O. aus Gelsenkirchen zum Beispiel, ehemaliger Medizinstudent und 1,0-Abiturient, hatte im vergangenen Frühjahr in Düsseldorf gestanden, dass er sich 2015 nach Syrien abgesetzt und dort ein zehnjähriges jesidisches Mädchen als Sex-Sklavin "zur Verfügung gestellt bekommen" hatte. Vor Gericht zeigte er sich geläutert. Als Kronzeuge half er, IS-Strukturen aufzuklären. Seine Strafe: zwei Jahre auf Bewährung.

© SZ vom 27.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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