Chodorkowskij: Urteil in Moskau:Die Stunde der Abrechnung

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Das harte Urteil gegen Michail Chodorkowskij wirft nicht nur ein unschönes Licht auf Premier Putin, sondern auch auf Präsident Medwedjew. Er wirkt wie der Komplize eines fremden Racheaktes.

Sonja Zekri

Es hat etwas von einem Angsturteil. Je 14 Jahre Lager für Michail Chodorkowskij und Platon Lebedjew. Die Begründung vier Tage lang dahingemurmelt, das Strafmaß am Tag vor Silvester verkündet, als viele Zeitungen nicht mehr erscheinen, als das ganze Land sich auf Neujahr vorbereitet, das wichtigste Fest des Jahres. Hätte der Richter Danilkin seine Entscheidung in seinem Wohnzimmer verkündet, es hätte nicht diskreter ablaufen können. Was auch immer Chodorkowskij und Lebedjew sich zuschulden kommen ließen - dieser Prozess, der selbst nach Ansicht von Kreml-Beratern rechtsstaatliche Kriterien verletzt, hat es nicht ans Licht gebracht.

Michail Chodorkowskij erwarten weitere knapp sieben Jahre im Lager. (Foto: REUTERS)

Der Ex-Yukos-Manager Chodorkowskij, einst umstrittener Star der Privatisierungsgewinnler, heute für russische Demokraten fast ein Heiliger, wird bis über 2012 hinaus hinter Gittern bleiben, das Jahr der nächsten Präsidentenwahl, womöglich sogar bis 2017, kurz vor der übernächsten Wahl. Was auch immer das Tandem an der Spitze plant, wie und an wen es die Macht übergeben will - Chodorkowskij wird dabei nicht stören.

Der russische Aktienkurs wird deshalb nicht abstürzen. Chodorkowskij gilt unter Unternehmern als Einzelfall, solche wie ihn gibt es nicht mehr in Russland: Wirtschaftskapitäne, die ihr märchenhaftes, zusammengerafftes, manchmal geraubtes Vermögen in politischen Einfluss umsetzen wollen. Die echten Oligarchen aus den Neunzigern, als der Staat so schwach war, dass die Tycoons allen Ernstes glaubten, nur sie, die frisch gebackenen Kapitalisten, könnten Russland retten, leben heute in England oder Israel - komfortabel, aber kalt gestellt.

Es wird womöglich nicht mal zu größeren Protesten kommen. Während die leidenschaftlichen Anhänger Chodorkowskijs ihn als einzig legitimen Anwärter auf die russische Demokratie sehen, verübeln ihm viele Russen die Anfänge seines Vermögens. Abgesehen von aller Unversöhnlichkeit, mit der der Staat Chodorkowskij seit Jahren verfolgt, hatten die Verfahren stets auch einen populistischen Nebeneffekt.

Vor allem aber verrät dieses Urteil viel über die russische Führung. Präsident Dmitrij Medwedjew hat die Erwartungen, die in ihn - vielleicht zu Unrecht - gesetzt wurden, nicht erfüllt. Er, der Jurist, galt als Grund dafür, dass das Verfahren fairer verlief als das erste, dass das Urteil bis zum Schluss als offen galt. Ob er ein milderes Strafmaß nicht durchsetzen konnte oder wollte, ändert nichts daran, dass er nun wie der Komplize eines fremden Racheaktes wirkt.

Denn vor allem wirkt die Gerichtsentscheidung, die niemand in Russland für unabhängig hält, wie die Abrechnung von Premier Wladimir Putin mit einem Intimfeind. Dabei bemühen sich Putin und Medwedjew derzeit so angestrengt um den Westen wie seit Jahren nicht, beschwören gemeinsame Werte, Interessen, Ziele, werben um Know-how, Kapital, Dialog. Dieses Urteil aber zeigt, wie viel sie noch vom Westen trennt.

© SZ vom 31.12.2010/1.1.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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