Union: Wahlprogramm:Merkel fehlt die große Idee

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Chance vertan: Kanzlerin Merkel und die CDU haben sich der Möglichkeit beraubt, ihrem Wahlprogramm eine bedeutende Überschrift zu verpassen. Stattdessen ist für jeden etwas dabei.

Stefan Braun

Jetzt sollen es also ein Machtwort und ein Steuerschwur von Angela Merkel richten. Nein, eine Erhöhung der Mehrwertsteuer werde es mit ihr in den nächsten vier Jahren nicht geben, erklärt die Kanzlerin. Man muss nicht an den berühmten Umfaller von Helmut Kohl nach der Wiedervereinigung denken, um misstrauisch zu werden.

Kanzlerin Angela Merkel verspricht Steuersenkungen in Milliardenhöhe - trotz Krise. (Foto: Foto: dpa)

Machtworte hat Merkel in ihrer gesamten Regierungszeit stets abgelehnt. Dass sie jetzt eines spricht, zum Start in den Bundestagswahlkampf, sagt einiges über ihre Macht in der CDU aus. Sie ist als Chefin unangefochten. Niemand in den Reihen der Christdemokraten kann ihr derzeit den Vorsitz streitig machen. Aber ihr Einfluss auf Stimmungen und Diskussionen in der CDU ist, gelinde gesagt, begrenzt geblieben. Die Erfahrung mit dem Widerstandsgeist in der CDU spricht zwar dafür, dass nach dem Wochenende die Debatte abflauen dürfte. Aber es hat sich das Gefühl festgesetzt, dass da eine Partei weiterregieren möchte, die verunsichert ist über die eigene Linie.

Das allerdings hat die Kanzlerin sich und der Partei zum größten Teil selbst eingebrockt. Sie hat die Steuerpolitik als einen Schwerpunkt gewählt und damit den Blick auf ein Thema gelenkt, mit dem sie zwangsläufig fragwürdig erscheinen muss. Mehr als drei Jahre lang hat sie sich gegen Steuersenkungen mit dem Argument gewehrt, der Bundeshaushalt gebe das nicht her. Konsolidierung wurde zum Markenzeichen der Koalition unter Angela Merkel. Ausgerechnet jetzt aber, da die Schulden ins Unermessliche wachsen, verspricht sie Steuersenkungen in Milliardenhöhe. Die von Merkel so gerne zitierte "schwäbische Hausfrau" würde dafür keine Worte mehr finden.

Die Sache wird nicht dadurch besser, dass die CDU-Vorsitzende dabei mehr die von der CSU Getriebene als Überzeugungstäterin war. Noch im Winter bezweifelte Merkel die konjunkturelle Wirkung von Steuersenkungen; jetzt macht sie diese angebliche Wirkung zu ihrem eigenen Argument. Merkel hat im Bundestagswahlkampf 2005 über die Erhöhung der Mehrwertsteuer gesprochen, weil sie glaubwürdig bleiben wollte. Heute muss sie damit leben, dass ihre Ankündigung, die Steuern diesmal zu senken, sie nicht gerade überzeugend erscheinen lässt.

Zugleich haben Merkel und die CDU eine große Chance vertan. Sie haben sich der Möglichkeit beraubt, ihrem Wahlprogramm eine bedeutende, prägende Überschrift zu geben. Statt dessen bietet das Programm für jeden etwas: für den konservativen Innenpolitiker, die modernen Eltern, den Mangel beklagenden Universitätsprofessor und den notorisch unzufriedenen Mittelständler. Merkel selbst sagt, dass sich jede Arbeitsgemeinschaft wiederfinden musste. Das ist zur Stabilisierung der Truppe wohl nötig gewesen. Aber es gibt dem Wahlkampf keine eigene Idee, die ausstrahlen könnte.

Dabei ist Merkel schon mit genau dieser Idee durch Deutschland gefahren. Als sie im Sommer 2008 die Bildungsrepublik propagierte, hatte sie jenes Thema aufgegriffen, das Idee und Wahlprogramm genug gewesen wäre. Gewiss, "Bildungsrepublik" hört sich sperrig an. Aber das Ziel, die gravierenden Probleme anzugehen, die es in der frühkindlichen Bildung, den Schulen und der Berufsausbildung gibt, war goldrichtig. Dies in den Mittelpunkt des Wahlkampfs zu stellen, wäre mutig und gut gewesen. Fast alles andere - Steuern, Familien, Integration und Energie bis hin zur Kriminalitätsbekämpfung - hätte man davon ableiten können. Dass Merkels Bildungsreise wenig erbrachte, lag nicht am Thema, sondern am Konflikt mit den eigenen Ministerpräsidenten. Das ist kein Grund, das Ziel zurückzustellen; es ist ein Beleg für die Schwäche der Christdemokraten, in diesem, für die Zukunft wichtigsten Thema eine gemeinsame Linie zu finden.

All das aber dürfte Angela Merkel bis auf weiteres egal sein. Es ist für sie fast schon ein rituelles Verhaltensmuster, in einer Krise erst mal selbst als Suchende aufzutreten. Bisher hat ihr das Publikum das nicht krummgenommen. Im Gegenteil, viele scheinen sich selbst in diesem Verhalten wiederzufinden. Das Leben ist voller Fragen, bei denen man erst grübelt, bevor man sich entscheiden kann. Da fühlt es sich angenehm an, wenn "die da ganz oben" genauso handelt. Gefährlich wird es erst, wenn die Mehrheit von der Kanzlerin doch einen Plan für die Zukunft erwartet, wenn sie fragt, wozu Merkel ihre Macht eigentlich einsetzen möchte. Das Dogma der CDU ("weil wir besser regieren als die anderen'') wird dann nicht mehr reichen.

In den USA unterscheidet man zwei Typen von Politikern. Beide waren bei Merkels jüngster Amerikareise zu studieren. Der eine, Barack Obama, gehört zu jenen, welche die Entwicklung ihres Landes von vornherein prägen möchten. "He takes the lead", heißt es dann, "er stellt sich an die Spitze einer Bewegung" und kämpft darum, für seinen Plan eine Mehrheit zu erringen. Der andere Typus prüft sehr genau, wie die Stimmungen ausfallen, um seinen Kurs dann diesen Strömungen anzupassen. Zu diesem Typus gehört Angela Merkel. "She tests the waters", sagt man da, "sie prüft das Wasser", um Temperatur und Strömung zu spüren. Wenn die Deutschen ein Volk der "Wassertester" bleiben, hat Merkel im Herbst wirklich gute Chancen.

© SZ vom 29.06.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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