Tunesien:Regierung in Tunesien verhängt nächtliche Ausgangssperre

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Seit Tagen wüten heftige Proteste in Tunesien. (Foto: dpa)
  • Von 20 Uhr abends bis fünf Uhr morgens gilt in Tunesien eine Ausgangssperre.
  • Bei tagelangen Protesten in dem Land kam ein Polizist ums Leben, Dutzende Menschen wurden verletzt.
  • Tunesien ist das Ursprungsland des arabischen Frühlings. Wie damals begannen die aktuellen Proteste nach dem Aufsehen erregenden Tod eines jungen Mannes.

"Wir haben keinen Zauberstab, um allen gleichzeitig einen Arbeitsplatz zu geben"

Nach den schlimmsten sozialen Unruhen in Tunesien seit Ausbruch der arabischen Aufstände vor fünf Jahren hat die Regierung eine nächtliche Ausgangssperre verhängt. Wie das tunesische Innenministerium auf Facebook mitteilte, gilt das Verbot von 20 Uhr abends bis fünf Uhr morgens. Die teilweise gewaltsamen Proteste gegen die schlechte wirtschaftliche Lage und hohe Arbeitslosigkeit hatten sich in der Nacht zum Freitag auf mehrere Regionen des nordafrikanischen Landes ausgedehnt. Demonstranten griffen in der Hauptstadt Tunis und anderenorts Posten der Polizei an und setzten deren Wagen in Brand, wie Sicherheitskreise meldeten.

Ministerpräsident Habib Essid erklärte, die Lage sei unter Kontrolle. Im Sender France24 sagte der Regierungschef: "Wir haben keinen Zauberstab, um allen gleichzeitig einen Arbeitsplatz zu geben." Die wichtigsten Maßnahmen seien getroffen worden. Frankreichs Präsident François Hollande kündigte bei einem Treffen mit Essid in Paris ein Hilfsprogramm über eine Milliarde Euro in den kommenden fünf Jahren an.

Auswärtiges Amt äußert "große Sorge" über Unruhen

Medien berichteten am Freitag, in einem ärmeren Viertel von Tunis seien Läden und zwei Banken geplündert worden. Zu gewaltsamen Protesten kam es auch in den Städten Jendouba und Bizerte. Aus Sidi Bouzid wurden ebenfalls Zusammenstöße gemeldet.

Das Auswärtige Amt in Berlin äußerte "große Sorge" über die Unruhen und rief alle Beteiligten "zu umsichtigem Verhalten und Besonnenheit auf, auch die tunesischen Sicherheitskräfte", wie Ministeriumssprecher Martin Schäfer sagte. Tunesien ist nicht nur das Ursprungsland der arabischen Aufstände, sondern auch der einzige arabische Staat, der seitdem den Übergang in die Demokratie geschafft hat. Der 26 Jahre alte Gemüsehändler Mohammed Bouazizi hatte Ende 2010 die Aufstände ausgelöst, als er sich in der zentraltunesischen Kleinstadt Sidi Bouzid aus Verzweiflung über seine Lage selbst anzündete.

Die massiven Demonstrationen brachten im Januar 2011 Machthaber Zine el Abidine Ben Ali zum Sturz. Die Welle des Aufruhrs erfasste auch zahlreiche andere Länder wie Ägypten, Libyen, Syrien, Bahrain oder den Jemen. In vielen dieser Staaten herrscht heute Chaos. In Tunesien gab es hingegen freie Wahlen und einen demokratischen Machtwechsel von der islamistischen Ennahda zur säkularen Partei Nidaa Tounes. Das tunesische Quartett für den nationalen Dialog erhielt im vergangenen Jahr für seine Verdienste den Friedensnobelpreis.

Terrorattacken auf Urlauber verschärften die Krise

Allerdings leidet das Land unter großen wirtschaftlichen Problemen und hoher Arbeitslosigkeit. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist mit einer geschätzten Quote von 15 Prozent Erwerbslosen angespannt. Besonders für junge Menschen ist die Jobsuche oft aussichtslos. Verschärft wurde die Krise im vergangenen Jahr durch Terrorattacken auf Urlauber in Tunis und dem Badeort Sousse. Danach brach das ohnehin schon schwache Geschäft der Tourismusbranche ein.

Tunesien
:"Jetzt ist der Tod überall und der Extremismus blüht"

Vor fünf Jahren beschlagnahmte eine Beamtin in Tunesien einen Gemüsestand. Heute wirft sie sich vor, damit den Arabischen Frühling ausgelöst zu haben.

Die Demonstrationen hatten am vergangenen Wochenende in der Provinz Kassérine begonnen, nachdem ein junger Arbeitsloser aus Protest gegen eine abgelehnte Jobbewerbung auf einen Strommast geklettert war und dabei einen tödlichen Schlag erlitten hatte. Der Fall erinnerte viele an das Schicksal des Gemüsehändlers Bouazizi. Bei Zusammenstößen in Kassérine wurde am Mittwoch ein Polizist getötet. Bis Donnerstagabend wurden 59 Beamte und etwa 40 Demonstranten verletzt.

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