Türkei:Zwischen allen Stühlen

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Bitte nach Ihnen: Der türkische Verteidigungsminister Canikli bemühte sich beim Besuch von Nato-Generalsekretär Stoltenberg um gute Stimmung. (Foto: Baris Oral/dpa)

Der Nato-Generalsekretär trifft in Ankara eine Regierung, die sowohl auf sein Bündnis, als auch auf Russland angewiesen ist - der Konflikt in Syrien macht diese Balance aber schwierig.

Von Luisa Seeling, München

Schon wieder ein Spitzentreffen in der türkischen Hauptstadt, bei dem es sehr freundlich zuging. Vor kurzem erst hatte der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan in Ankara den russischen Präsidenten Wladimir Putin empfangen. Erdoğan nannte Putin einen "lieben Freund" und versprach, die Kooperation fortzusetzen und weiter auszubauen, "jeden Tag". In Brüssel und Washington war man alarmiert, dort fürchtet man schon länger, dass die Türkei sich von den westlichen Partnern ab- und vollends Russland zuwenden könnte. Als an diesem Montag Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg zu Gesprächen in Ankara eintraf, offiziell zur Vorbereitung des Nato-Gipfels in Brüssel im Juli, bemühte sich die Regierung jedoch nach Kräften, den Eindruck zu zerstreuen.

Vize-Ministerpräsident Bekir Bozdağ erklärte, die Türkei stehe nicht an der Seite irgendeines Landes in Syrien, seine Syrien-Politik unterscheide sich von der russischen ebenso wie von der amerikanischen. Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu versicherte in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Stoltenberg, die Beziehungen zu Russland seien "keine Alternative" zu denen zur Nato, zu Frankreich und den USA. Zugleich betonte er, die türkisch-russische Verbindung sei "zu stark, um durch Frankreichs Präsident durchbrochen zu werden". Das war auf Emmanuel Macrons gemünzt, der gesagt hatte, die Zustimmung Ankaras für die amerikanisch-französisch-britischen Luftangriffe in Syrien zeige, dass sich die Türkei von Russland "getrennt" habe. Später sollte Stoltenberg auch noch den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan treffen.

Es ist ein schwieriger Balanceakt, an dem sich die Türkei versucht, mit den jüngsten Luftangriffen auf syrische Ziele dürfte er noch komplizierter geworden sein. Zusammengefasst könnte man es auf zwei Formeln bringen: Die Freundschaft zu Russland ist fragiler, als es zuweilen aussieht. Und das Bündnis mit dem Westen, vor allem die Nato, ist für Ankara wichtiger, als es manchmal den Anschein hat.

Rückt die Türkei in Syrien weiter vor, könnte sie dem Nato-Partner USA gegenüberstehen

Sein Heil sucht das Land deshalb bis auf Weiteres in einer Mittelposition. Mit Russland will man es sich nicht verscherzen, zum einen aus geschäftlichen Gründen: Ankara will das russische Raketenabwehrsystem S-400 kaufen, den Handel ausweiten, gemeinsam mit Russland das erste türkische Atomkraftwerk bauen, auch eine Gaspipeline zwischen den beiden Ländern ist in Arbeit. Vor allem aber braucht Ankara Moskaus Einverständnis für seine Militärintervention in Nordsyrien. Dort geht die Türkei gegen die kurdische Miliz YPG vor, aus der Provinz Afrin haben die türkische Armee und die mit ihr verbündeten Freien Syrischen Armee (FSA) die kurdischen Kämpfer vertrieben. Weder Russland, noch Iran oder die USA sind von der türkischen "Operation Olivenzweig" begeistert, doch nur Russland hätte den Einmarsch in Afrin verhindern können - und tat es nicht. Stattdessen gab es den Luftraum über Afrin für türkische Jets frei. Kein Wunder, dass die Türkei zwar die mutmaßlichen Giftgasangriffe des syrischen Regimes in Duma scharf verurteilet, Moskau in diesem Zusammenhang aber mit keinem Wort erwähnte - ganz so, als sei Russland gar nicht die Schutzmacht Baschar al-Assads. Normalerweise ist der syrische Machthaber einer der größten Streitpunkte zwischen der Türkei und Russland; während Moskau ihn stützt, will Ankara seinen Sturz. "Wir sind gegen den bedingungslosen Beistand für das Regime und liegen mit Iran und Russland in dieser Frage überkreuz", sagte Vize-Premier Bozdağ.

Den Amerikanern wiederum nimmt Ankara ihr Bündnis mit den syrischen Kurden übel. Sollte das türkische Militär nun als nächstes das Städtchen Manbidsch ins Visier nehmen, wie es Erdoğan mehrmals angekündigt hat, könnte das in der Nato eine Krise auslösen. Im äußersten Fall stünden sich zwei Nato-Staaten militärisch gegenüber. Denn in Manbidsch sind US-Truppen stationiert, zur Unterstützung kurdischer Kräfte im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat. Dass es Ankara auf eine handfeste, ja militärische Eskalation ankommen lassen will, ist jedoch unwahrscheinlich. Die Konfrontation mit dem Westen schadet der türkischen Wirtschaft; auf eine gute wirtschaftliche Entwicklung ist Erdoğan jedoch angewiesen, wenn er im kommenden Jahr die anstehenden Kommunal-, Parlaments- und Präsidentschaftswahlen für sich entscheiden will. Zudem hat die türkische Regierung immer wieder gezeigt, dass sie Druck aus dem Kessel nimmt, wenn die Spannungen überhand nehmen. Im Februar diesen Jahres lief es genau so: Da reiste der damalige US-Außenminister Rex Tillerson nach Ankara, kurz nachdem Erdoğan den USA mit einer "osmanischen Ohrfeige" gedroht hatte. Es wurde ein erstaunlich freundliches Treffen.

© SZ vom 17.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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