Türkei:Zusammenstöße nach Festnahmen

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Die Verhaftung der Bürgermeisterin von Diyarbakır löst Proteste aus - sie galt als Galionsfigur der kurdischen Opposition.

Von Mike Szymanski, Istanbul

Mit der Festnahme von Gültan Kışanak, Bürgermeisterin von Diyarbakır und eine der führenden kurdischen Politikerinnen des Landes erreicht der Kurdenkonflikt eine neue Eskalationsstufe. Die 55-Jährige war am Dienstagabend nach ihrer Rückkehr aus Ankara am Flughafen von Diyarbakır von der Polizei abgeholt worden. Die Staatsanwalt wirft der Bürgermeisterin vor, Unterstützerin der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK zu sein, die als Terrororganisation eingestuft ist und seit anderthalb Jahren wieder verstärkt Anschläge verübt. Mit ihr verhaften Behörden auch den Co-Bürgermeister Fırat Anlı.

Am Mittwoch kam es in Diyarbakır zu Protesten gegen die Festnahme. Vor dem Rathaus versammelten sich mehrere Hundert Anhänger der verhafteten Bürgermeister, darunter auch Politiker der im Parlament vertretenen kurdischen Partei HDP. Die Polizei ging mit Schlagstöcken, Tränengas und Wasserwerfern gegen die Demonstranten vor, von denen einige Steine auf Polizisten warfen. Protestaktionen gab es auch in Istanbul und anderen Städten.

Gültan Kışanak, ehemals Co-Vorsitzende der HDP-Vorgängerpartei, gehört zum Spitzenpersonal der kurdischen Politik und gilt als Symbolfigur. Bevor sie 2014 Bürgermeisterin der kurdisch geprägten Stadt Diyarbakır wurde, machte sie als Parlamentarierin in Ankara Politik. Nach dem Militärputsch von 1980 saß sie zwei Jahre im Gefängnis von Diyarbakır. Jeden Tag sei sie dort gefoltert worden, berichtete sie später einem Journalisten.

Die HDP verurteilte die Verhaftung der Politikerin und ihres Co-Chefs als "willkürlich und unrechtmäßig". Die AKP-Regierung unter Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan verfolge weiter das Ziel, die Opposition aufzulösen. Nach Angaben der Vereinigung der Bürgermeister aus dem kurdisch geprägten Südosten des Landes sind mehr als 30 Stadtoberhäupter abgesetzt worden, die Kontrolle hätten staatliche Zwangsverwalter übernommen. Mehr als 20 Lokalpolitiker säßen im Gefängnis. Die Regierung beschuldigt sie, PKK-Kämpfer mit Ressourcen des Staates finanziell und logistisch zu unterstützen.

Mit der Metropole Diyarbakır erreicht dieses Vorgehen eine neue Dimension. Die Stadt ist einer der Hauptschauplätze des Kurdenkonflikts, der im vergangenen Jahr wieder voll entbrannt ist. Über Monate hatte die Regierung eine Ausgangssperre über den Stadtteil Sur verhängt und mutmaßliche PKK-Kämpfer gejagt. Die Militäroperationen in den Städten sind weitgehend abgeschlossen, die Stimmung bleibt äußerst angespannt. Über Zwangsverwalter versucht die Regierung, die politische Kontrolle zu gewinnen.

© SZ vom 27.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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