Türkei:Wie er will

Lesezeit: 2 min

Recep Tayyip Erdoğan hat seinen Landsleuten einst versprochen, es werde ihnen immer besser gehen. Jetzt sehen sie erstmals, dass das nicht stimmt. Der Preis für wirtschaftliches Wohlergehen liegt im Verzicht auf politische Freiheiten.

Von Christiane Schlötzer

Viele Türken haben schon mit den Füßen abgestimmt, bevor die Wahllokale am Sonntag überhaupt öffneten. Sie haben das Land verlassen oder ihr Geld ins Ausland gebracht. Die einen wollen nur ihr Kapital retten, die anderen auch ihren Kopf.

Der türkische Staat hat seit dem Putschversuch vom Juli 2016 fast 1000 Unternehmen unter seine Kontrolle gebracht, also praktisch enteignet, mit einem Gesamtwert von etwa zehn Milliarden Euro. Das sind die offiziellen Zahlen. Die Firmeninhaber sollen jeweils Kontakte zum Netz des Predigers Fethullah Gülen gehabt haben, den die Regierung für den Putschversuch verantwortlich macht. Es waren große, erfolgreiche Unternehmen dabei, die einst auch von Präsident Recep Tayyip Erdoğan als "anatolische Tiger" gepriesen wurden.

Aber nicht nur Leute, denen Nähe zu Gülen nachgesagt wurde, suchten das Weite, wenn sie konnten. Die Verunsicherung geht viel tiefer. Wo der Rechtsstaat nur noch eingeschränkt funktioniert, weil die Richter sich selbst vor der Regierung fürchten, fühlt sich letztlich niemand mehr sicher. 2017 verließen zwölf Prozent der türkischen Millionäre das Land, meldete die Agentur Bloomberg jüngst. Neben Superreichen gingen auch Türken der Mittelklasse, oder sie suchten im Ausland Studienplätze für Söhne und Töchter, damit die in der Heimat nicht zufällig in eine Demonstration geraten und im Gefängnis landen. Die Türkei erlebt nicht nur einen Schwund an Kapital, sondern auch an intellektueller Kapazität.

Erdoğan wollte einst sein Land stärken, aber er schwächt es. Nach der Niederschlagung des Putschversuchs applaudierte ihm auch die Opposition, dann aber begann Erdoğan, sich an das Regieren mit Dekreten und Notverordnungen zu gewöhnen. Der schon zwei Jahre währende Ausnahmezustand soll nun zwar bald nach der Präsidenten- und Parlamentswahl vom Sonntag aufgehoben werden. Die Präsidialverfassung, die Erdoğan der Türkei aufgedrückt hat, erlaubt jedoch jedem Präsidenten, auch ohne Notstand zu schalten und zu walten, wie er will, mit bis jetzt in der Türkei nicht gekannter Machtfülle. Damit könnte sich das neue Regierungssystem als Bumerang erweisen.

Kapital und Köpfe werden auch weiterhin aus der Türkei fliehen

Denn wo die Kontrolle fehlt oder alle Angst haben, dem Mann an der Spitze die Meinung zu sagen, passieren Fehler. Die Verunsicherung wird anhalten, Kapital und Köpfe werden weiterhin fliehen. Der Verfall der Lira ist nicht allein hausgemacht, aber die politischen Zustände spielen eine wichtige Rolle. Viele Unternehmen bringt dies an den Rand der Zahlungsfähigkeit. Auch der Staat hat über seine Verhältnisse gelebt, er hat das Geld mit vollen Händen ausgeteilt, um verunsicherte Wähler zufrieden zu stimmen. Diese Großzügigkeit lässt sich nicht fortsetzen, sie führt in eine Schuldenkrise.

In den Tagen vor der Wahl waren die türkischen Zwiebelpreise eines der großen Themen. Das klingt banal, ist es aber nicht. Das auf einmal so teure Alltagsprodukt wurde zum Krisenbarometer. Erdoğan hat seit 16 Jahren alle Wahlen gewonnen, weil er den Türken versprach, es werde ihnen immer besser gehen. Lange galt das auch, die Einkommen stiegen, das Leben in den Städten wurde mit moderner Infrastruktur bequem. Aber Erdoğan hat vergessen, dass wirtschaftlicher Fortschritt auf Dauer nicht ohne politische Freiheiten zu haben ist. Sonst stimmen die Menschen eben mit den Füßen ab.

© SZ vom 25.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: