Türkei:Vollzug

Erdogan besitzt eh alle Macht. Warum also ein Referendum?

Von Mike Szymanski

Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan hat sich längst über die Verfassung seines Landes gestellt. Er regiert, als habe die Türkei den Wechsel zum Präsidialsystem bereits vollzogen. So viel Macht wie derzeit unter dem Ausnahmezustand dürfte ihm auch nie wieder zufallen. Dass Erdoğan freiwillig wieder Macht abgibt? Unwahrscheinlich.

Das heißt leider auch: Ob es am Ende tatsächlich zu einem Referendum kommt oder nicht, das spielt für die nähere Zukunft des Landes nur eine nachgeordnete Rolle. Erdoğan hat längst sein eigenes Herrschaftssystem geschaffen. Die Erdoğan-Türkei braucht den formellen Übergang zum Präsidialsystem nicht. Wer soll denn noch den Machtanspruch einhegen? Die hörige Justiz? Die wenigen unabhängigen Medien? Erdoğans Diener im Parlament? Wenn er - abschließend auch formal - den Präsidentenposten zum mächtigsten Amt im Land machen will, entzieht er sich endgültig seiner Partei, die jetzt schon zur reinen Machterhaltungsmaschine verkümmert ist. Am Ende wird alles nur noch erdoğanesker.

Ein Referendum hat allenfalls den Reiz, den Widerstandswillen in der Bevölkerung zu messen. Erdoğan hat das Land wie kein anderer seit Atatürk umgekrempelt - jahrelang auch zum Guten, im Übrigen. Eine Systemschwäche war dabei nicht zu erkennen. Aber die Türkei unter Erdoğan war nur erfolgreich, solange er sein Land im Blick hatte - und nicht sich.

© SZ vom 19.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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