Türkei:Staatsmacht im Visier

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Ein Angriff auf einen Stützpunkt der türkischen Militärpolizei heizt den Konflikt mit den Kurden weiter an.

Von Luisa Seeling, München

Die Anschlagswelle im Osten der Türkei setzt sich fort, wieder richtet sich die Gewalt gegen Vertreter der Staatsmacht, im Visier sind Polizeistationen und Militäreinrichtungen. Bei einem Anschlag in der osttürkischen Provinz Ağrı nahe der iranischen Grenze sind am Sonntag zwei Polizisten getötet und 31 weitere verletzt worden. Kämpfer der verbotenen kurdischen Guerillaorganisation PKK hätten den Stützpunkt der Militärpolizei am frühen Morgen mit einem mit Sprengstoff beladenen Traktor angegriffen, berichtete die Nachrichtenagentur DHA unter Berufung auf den Provinzgouverneur.

In der südöstlichen Provinz Mardin war bereits am Samstagabend ein Soldat gestorben, als sein Fahrzeug auf eine Mine gefahren war. Acht weitere Soldaten wurden verletzt, teilten die Behörden mit. Auch hinter diesem Anschlag wird die PKK vermutet, die Organisation bekannte sich allerdings zunächst zu keinem der Attentate. In der Nacht zu Sonntag kam es in Nusaybin, einer Stadt in unmittelbarer Nähe zur türkisch-syrischen Grenze, zu Gefechten zwischen einer Jugendorganisation der PKK und der Polizei, wie türkische Medien berichteten. Seit dem Anschlag auf ein pro-kurdisches Treffen in Suruç mit 32 Toten kamen mindestens 16 Angehörige der Sicherheitskräfte bei Anschlägen oder Schusswechseln ums Leben.

Ankara schickt Kampfjets gegen Stellungen der PKK-Guerilla

Beobachter werten die Taten als Vergeltung für Luftangriffe, die das türkische Militär seit mehr als einer Woche auf Stellungen der PKK im Nordirak fliegt. Der Konflikt zwischen Kurden und türkischer Regierung ist seit dem Selbstmordattentat in Suruç wieder aufgeflammt. Die PKK wies der Regierung eine Mitschuld an dem Anschlag zu, für den Ankara die Terrormilz Islamischer Staat (IS) verantwortlich machte. Die kurdische Guerilla griff deshalb Sicherheitskräfte an, woraufhin Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan den Friedensprozess mit den Kurden aufkündigte. Berichten zufolge sollen bei den Luftschlägen etwa 260 PKK-Kämpfer getötet und Hunderte verletzt worden sein. Die PKK hat selber bisher keine Angaben zu ihren Verlusten gemacht.

Ein Ende der Kämpfe im Osten der Türkei haben die Teilnehmerinnen einer Friedenskundgebung am Wochenende in Istanbul gefordert. (Foto: Ozan Kose/AFP)

Auf Vorwürfe, dass bei Luftangriffen im Nordirak auch Zivilisten getötet worden seien, reagierte das Außenministerium in Ankara am Samstag zunächst mit der Ankündigung, Ermittlungen einzuleiten. Kurdische Medien hatten zuvor von einem Massaker im nordirakischen Dorf Sarkel berichtet, das frühmorgens von türkischen Kampffliegern angegriffen worden sei. Es habe mindestens neun Tote und mehrere Verletzte gegeben.

Die Berichte seien mit Sorge aufgenommen worden, hieß es in der Erklärung des Außenministeriums, und würden mit den Regionalbehörden der irakischen Kurdenregion gründlich untersucht. Man werde jede Anstrengung unternehmen, um zivile Opfer zu vermeiden. Es sei aber "leider eine Tatsache, dass die Terrororganisation Zivilisten als menschliche Schutzschilde nutzt". Am Sonntag erklärten die türkischen Streitkräfte, es seien im Nordirak keine zivil besiedelten Gebiete bombardiert worden. Bei dem Luftangriff sei lediglich Logistik der PKK beschossen worden, es sei auch kein Dorf angegriffen worden.

Die Luftangriffe im Nordirak beunruhigen auch die Führung der autonomen Region Kurdistan. Deren Präsident Massud Barsani hat die Türkei und die verbotene kurdische Arbeiterpartei zur Rückkehr an den Verhandlungstisch aufgerufen. Er forderte zugleich die PKK auf, die Region Kurdistan zu verlassen, um das Leben von Zivilisten nicht zu gefährden. Schon vor ein paar Tagen hatte er in einem Interview gesagt, es sei nicht nur die Schuld des türkischen Präsidenten, dass der Friedensprozess zwischen der Türkei und Kurden bedroht sei. Vielmehr machte Barsani die Hardliner in der PKK, die keinen Frieden wollten, mitverantwortlich.

Auch die syrische Kurdenmiliz YPG, die eigentlich als PKK-nah gilt, bemüht sich, auf Distanz zu dem Konflikt in der Türkei zu gehen. Ankara fliegt seit etwa anderthalb Wochen Angriffe gegen Stellungen des Islamischen Staates in Syrien, als Teil der internationalen Koalition gegen den IS. Die YPG wirft der türkischen Regierung vor, mehrmals auch ihre Stellungen beschossen zu haben. Dabei habe sie mit dem Konflikt zwischen Ankara und PKK nichts zu tun.

© SZ vom 03.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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