Türkei:Schlag gegen die Gülen-Bewegung

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Einst war der Prediger ein Weggefährte von Staatschef Erdoğan, doch jetzt wird sein Netzwerk vom Staat gnadenlos verfolgt. In Istanbul beginnt der Prozess gegen Gülen-Anhänger.

Von Mike Szymanski, Istanbul

Glaubt man der türkischen Regierung, dann reicht das Böse tief in das System, ganz nah heran an Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan - sogar bis an seinen Tisch. Gesundheitsminister Mehmet Müezzinoğlu jedenfalls berichtete am Donnerstag, Anhänger von Erdoğans einstigem Weggefährten und heutigen Erzfeind, dem islamischen Prediger Fethullah Gülen, hätten versucht, den Staatspräsidenten zu vergiften. Für diese angebliche Enthüllung wählte das Kabinettsmitglied nicht irgendein Medium, sondern die einst Gülen nahestehende Zeitung Bugün. Die hat die Regierung im vergangenen Jahr unter ihrer Kontrolle gebracht. Und wenn es nach ihr geht, bleibt von Gülens Netzwerk bald nichts übrig.

Gülen lebt weit weg, in seinem Exil im US-Bundesstaat Pennsylvania ist er sicher vor dem Zugriff der türkischen Behörden. Aber seit Mittwoch dieser Woche wird ihm in Istanbul in Abwesenheit der Prozess gemacht. Ihm wird vorgeworfen, den Staat mit seiner nach ihm benannten Bewegung unterwandert zu haben, um Erdoğan zu stürzen. Der türkische Staat stuft die Gülen-Bewegung mittlerweile als Terrorgruppe ein. Mitangeklagt sind 69 Anhänger, darunter einige hochrangige Polizisten. Erdoğan selbst gehört zu den Klägern.

Zum Prozessauftakt am Mittwoch in Istanbul forderte die Anklage lebenslange Haft für Gülen und fast alle anderen Angeklagten. Die Anklageschrift ist etwa 1500 Seiten dick. Gülen war ein Verbündeter Erdoğans, bis 2013 offene Feindschaft zwischen dem Prediger und dem islamisch-konservativen Politiker ausbrach. Erdoğan warf Gülen vor, Korruptionsermittlungen unter anderem gegen sein persönliches Umfeld lanciert zu haben. Die Ermittlungen wurden eingestellt, nachdem zahlreiche daran beteiligte Polizisten und Staatsanwälte versetzt oder entlassen worden waren. In den vergangenen Monaten gingen die Behörden mit zunehmender Härte gegen Konzerne vor, die Gülens Bewegung zugerechnet werden.

Gülen bestreitet die Vorwürfe - nicht aber, dass auch zahlreiche türkische Staatsdiener mit seiner Bewegung sympathisieren. Im Interview mit der SZ sagte er vor einem Jahr: "Ein Bürger eines Landes kann nicht die Institutionen seines Landes unterwandern, er dient ihnen." Der Regierung warf er eine "Hexenjagd" vor, sie wolle sich nur derer entledigen, "die nicht der Macht nahestehen". Am ersten Tag erklärten Anwälte der Angeklagten, das Gericht sei nicht zuständig, der Prozess sei politisch motiviert

© SZ vom 08.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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