Türkei:Rosen auf Ruinen 

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Weitgehend unbewohnbar: Eine Frau rettet ein paar Habseligkeiten aus den Ruinen eines Hauses. (Foto: Ilyas Akengin/AFP)

Die türkische Regierung verspricht einen Wiederaufbau in den Kurdengebieten. Etwa acht Milliarden Euro will der Staat investieren.

Von Luisa Seeling, München

"Wie Toledo" werde die Altstadt von Diyarbakır nach dem Wiederaufbau aussehen, hat der türkische Premier Ahmet Davutoğlu vor Kurzem bei einer Reise nach Saudi-Arabien gesagt. Am Freitag kam er in der Stadt Mardin im Südosten der Türkei noch auf weitere Vergleiche: Die Militanten hätten ein Feuer gelegt, "aber wir werden, so Gott will, einen Rosengarten dort pflanzen, wo Feuer war", zitiert die Zeitung Hürriyet Daily News aus seiner Rede. Man werde "alle Wunden verbinden", die während des wochenlangen Häuserkampfs in der Region geschlagen wurden.

Seine Botschaft ist klar: Die türkische Regierung hat eine Strategie für die Zeit nach dem Ende der Offensive gegen die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und die ihr nahestehende Jugendorganisation YDG-H, die das Militär im Dezember begonnen hat. Noch aber haben Davutoğlus Versprechen mit der Realität nicht viel zu tun. Das Altstadtviertel Sur in Diyarbakır erinnert eher an eine syrische Trümmerstadt als an das malerische Toledo im Herzen Spaniens.

In Cizre in der Provinz Şırnak dauern die Kämpfe an: In der Nacht auf Montag soll die Armee nach Berichten regierungsnaher Medien 60 PKK-Kämpfer "neutralisiert" habe. Das Militär selbst gab die Tötung von zehn Kämpfern bekannt. Ein Abgeordneter der Kurdenpartei HDP, der sich in Cizre aufhält, berichtete hingegen, neun Menschen seien bei einem Brand in einem unter Beschuss stehenden Gebäude ums Leben gekommen. Ein Junge sei zudem von Sicherheitskräften im Hauseingang erschossen worden. Der Politiker wirft der Regierung vor, ein "Massaker" zu verüben. Auch diesmal lässt sich nicht unabhängig überprüfen, ob es sich bei den Toten um Zivilisten oder Kämpfer handelt. Wobei die Unterscheidung bei radikalisierten Jugendlichen ohnehin schwerfällt.

Umgerechnet acht Milliarden Euro will der Staat in den nächsten zwei Jahren investieren

Dass die Gewalt bald ein Ende hat, wie es der türkische Innenminister Efkan Âlâ in Aussicht gestellt hat, ist jedenfalls zweifelhaft. Davutoğlu hat in Mardin trotzdem eine "neue Ära" eingeläutet. Schon der Besuch war ein Signal: Mit einer Serie von freitäglichen Visiten will der Premier in den Kurdengebieten Präsenz zeigen. Türken und Kurden seien gleichberechtigt, hätten "ein Vaterland, eine Zukunft, ein Schicksal", sagte er. Es solle demokratische Reformen geben, Transparenz. Vor allem aber stellte der Premier viel Geld in Aussicht.

Umgerechnet acht Milliarden Euro will der Staat in den nächsten zwei Jahren investieren, um die am Boden liegende Wirtschaft in den Kurdengebieten zu päppeln. Betriebe und Geschäftsleute sollen entschädigt, Versicherungs- und Kredite gestundet, billige Darlehen zur Verfügung gestellt werden. Zerstörte Stadtteile sollen wieder aufgebaut werden. Über das unter dem Schutz der UN-Kulturorganisation Unesco stehende Viertel Sur, das in den vergangenen Monaten zu den besonders umkämpften Zonen gehörte, sagte Davutoğlu, beim Wiederaufbau werde auf die historischen Besonderheit geachtet. Ankaras Befriedungsplan sieht neben finanziellen Hilfen auch mehr Mitbestimmung für die kurdische Bevölkerung vor. So verspricht Davutoğlu eine Stärkung der Rechte lokaler Verwaltungen, was unter anderem von der Kurdenpartei HDP gefordert wird. Allerdings würden die Ausgaben der Kommunen streng kontrolliert, damit kein Geld an die PKK fließe. Wie sich in der Praxis mehr Freiheiten mit strenger Kontrolle vereinbaren lassen - dazu sagte Davutoğlu nichts.

Seit Langem wirft die Regierung Vertretern der Kurdenpartei vor, die PKK zu unterstützen, ideell wie finanziell. Kaum vorstellbar, dass Ankara ihnen künftig freie Hand lässt. Sie aus dem Amt zu entfernen, würde aber neuen Zorn erregen. In den vergangenen Monaten hat der Staat zwei Dutzend kurdische Bürgermeister aus umkämpften Städten verhaftet. Schwammig ist auch die Ankündigung, man wolle runde Tische einrichten, an denen Regierungsvertreter mit anerkannten lokalen Kurden-Vertretern zusammensitzen. Wen wird Ankara als Gesprächspartner akzeptieren?

Klar ist nur: Die PKK gehört nicht dazu. Gespräche mit der PKK haben die Regierung und der Präsident, Recep Tayyip Erdoğan, ausgeschlossen. Mit den Menschen wolle man reden, nicht mit den Terroristen, hieß es. Verhandlungen, wie es sie zwei Jahre lang bis zum Scheitern des Prozesses im Sommer 2015 gegeben hat, sind also keine Option. Die PKK soll besiegt werden. Die regierungsnahe Zeitung Sabah bringt es auf die Formel: soziale Mobilisierung für die Bevölkerung und einen "Vorschlaghammer für die Terroristen". Die Armee soll präsent sein in den Kurdengebieten, ihre Posten werden verstärkt.

Mehr als 200 Zivilisten sind nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen in den vergangenen Monaten umgekommen. Zehntausende sind geflohen. Ganze Stadtviertel sind unbewohnbar geworden. Das Misstrauen ist groß auf kurdischer Seite. Selbst die Wiederaufbaupläne der Regierung sehen viele kritisch. Es gehe doch vor allem darum, der staatlichen Wohnungsbaugesellschaft Toki neue Geschäftsfelder zu eröffnen, meint eine HDP-Politikerin.

© SZ vom 09.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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