Türkei:Privatsphäre und Verantwortung

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Die Türkei erlässt ein Datenschutzgesetz und erfüllt damit eine Forderung der EU für Visafreiheit.

Von Mike Szymanski, Istanbul

Nach mehr als einem Jahrzehnt der Diskussion ist am Donnerstag in der Türkei das erste umfassende Datenschutzgesetz des Landes in Kraft getreten. Erstmals wird der Nutzung privater Daten ein rechtlicher Rahmen gesetzt. Im ersten Paragrafen heißt es, Ziel des Gesetzes sei es, die Privatsphäre der Bürger zu schützen und Regeln und Verantwortlichkeiten für den Umgang mit sensiblen Daten zu benennen.

Das Gesetz kommt wenige Tage, nachdem eine Datei mit vertraulichen Informationen von knapp 50 Millionen Türken von Unbekannten ins Internet gestellt worden war. Die Behörden haben eine Untersuchung eingeleitet. Obwohl seit Anfang der 2000er-Jahre über ein Datenschutzgesetz diskutiert wird, hatte die Politik dem lange keine Priorität eingeräumt. Zwei Entwicklungen zwingen das Land, daran etwas zu ändern. In der Flüchtlingskrise sind 2,7 Millionen Migranten registriert worden. Es stellte sich die Frage, wie das Land mit diesen Daten umgeht und vor allem, wie es sie mit Europas Behörden teilt. Zudem geht der Wunsch der Türken nach visafreiem Reisen in die EU nur dann in Erfüllung, wenn das Land nachweislich sensible Daten schützt. Ein Datenschutzgesetz fällt unter die 72 Auflagen, die das Land erfüllen muss. Die EU hatte der Türkei im Zuge des Flüchtlingspaktes zugesagt, das Verfahren zu beschleunigen, pocht aber auf die Einhaltung des Kriterienkataloges.

Die Türkei macht nach den Worten ihres Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu Fortschritte. Schon jetzt seien 43 der 72 Kriterien für die Abschaffung der Visapflicht erfüllt, sagte der Premier am Freitag in Istanbul. Die restlichen Verpflichtungen würden binnen kurzer Zeit abgearbeitet. Ankara will bis Ende Juni alle Kriterien erfüllt haben. Notfalls werde an Wochenenden durchgearbeitet.

Ein Entwurf für das Datenschutzgesetz, der den Abgeordneten im Januar zuging, wies noch erheblich Schwächen auf. Beispielsweise hatten Kritiker bemängelt, dass das Gesetz viel zu viele Ausnahmen vorsehe, die den Datenschutz wieder aushebelten. Angesichts der neuen Terrorgefahr wollen die Sicherheitsbehörden umfassende Zugriffsrechte behalten. Wann sie Daten einsehen können, soll ein Ausschuss entscheiden.

Dem früheren Entwurf zufolge hätten die Regierung und Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan die Mitglieder benannt. Dies stieß auf breite Kritik. An dieser Stelle wurde nachgearbeitet. Fünf der insgesamt neun Mitglieder bestimmt künftig das Parlament. Ob das Gesetz die Anforderungen der EU erfüllt, wird sich erst noch zeigen müssen.

© SZ vom 09.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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