Türkei:Normale Maßlosigkeit

Präsident Erdogan schlägt verbal um sich. Das kennt man.

Von Gökalp Babayiğit

Als "abscheulich und deplatziert" verurteilt die Türkische Gemeinde in Deutschland die jüngsten Aussagen von Recep Tayyip Erdoğan - und bringt es damit auf den Punkt. Blutuntersuchungen bei türkischstämmigen Abgeordneten zu fordern und zu behaupten, Cem Özdemir oder Aydan Özoğuz seien der verlängerte Arm der PKK in Deutschland, ist absurd. Zum Lachen ist die krause Logik, die Haltung zur Armenien-Resolution habe etwas mit der DNA zu tun, aber sicher nicht. Attacken wie diese sind es, durch die sich manche zu Morddrohungen gegen die Politiker ermuntert sehen.

Trotzdem staunen Beobachter aus der Türkei aber bisweilen darüber, welches Gewicht hierzulande allen Aussagen ihres Präsidenten beigemessen wird. Das sind sie seit Jahren nicht anders gewöhnt: Der Typus des umsichtigen Politikers, der seine Worte mit Bedacht wählt, ehe er sie ausspricht, ist in der Türkei aus der Mode gekommen. Drastische Zitate sind an der Tagesordnung, weshalb die Türken wissen, dass sie manche Äußerungen auf etwas anderes zurückführen müssen: Erdoğan fehlt ein Korrektiv, er umgibt sich mit Menschen, die viel zu schnell und viel zu oft "Ja" zu ihm sagen - und nicht hinterfragen, was er von sich gibt.

Entschuldigen lässt sich dadurch freilich nichts. Für die Maßlosigkeit seiner Aussagen ist nur Erdoğan selbst verantwortlich. Die Konsequenzen für die Parlamentarier nimmt er billigend in Kauf.

© SZ vom 07.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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