Die Türkei gleitet in atemberaubendem Tempo in die Autokratie ab. Doch die Diskussion darüber, was man dagegen tun könnte, wird seit Monaten seltsam einseitig geführt. Knackpunkt ist stets der Flüchtlingsdeal; mit dessen Unterzeichnung habe sich Europa, habe sich vor allem die Bundesregierung erpressbar gemacht, heißt es. Merkels zahmes Auftreten gegenüber Präsident Erdoğan hat bei vielen den Eindruck erweckt, Berlin drücke bei Grundrechtsverletzungen ein Auge zu, um sich die Flüchtlinge vom Hals zu schaffen.
Da ist Wahres dran - trotzdem kann der Flüchtlingspakt nicht alles erklären, und die Fixierung darauf überlagert wichtige Fragen. Etwa diese: Angenommen, das Abkommen würde beendet - was wäre dann gewonnen für den türkischen Rechtsstaat? Ließe sich Erdoğan mit schärferen Tönen aus Berlin und Brüssel zurückführen auf den Pfad der Demokratie? Eher nicht. Der türkische Präsident ist längst ein Meister darin, jede Kritik von außen zum Angriff auf die nationale Ehre umzudeuten. Großes Interesse an einem EU-Beitritt hat er auch nicht mehr.
Der Besuch des deutschen Außenministers in Ankara zeigt im Übrigen, dass der Ton aus Berlin schärfer wird. Steinmeier hat seinen Gastgebern offen widersprochen, hat sich mit Oppositionellen getroffen. Man kann das als Botschaft lesen: Ankara kann sich nicht mehr hinter dem Flüchtlingspakt verschanzen.