Türkei:Merkels falsche Leisetreterei

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Endlich hat Angela Merkel auf Erdoğans Nazi-Vergleiche reagiert. Leider viel zu spät. Die Kanzlerin hat anscheinend das Gefühl dafür verloren, wann es Zeit ist einzuschreiten.

Kommentar von Wolfgang Krach

Angela Merkel hat am Montagnachmittag das gesagt, was gesagt werden musste. Leider viel zu spät. Ihre Reaktion auf den NS-Vergleich des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan passt ins Bild einer Kanzlerin, die sich mit der Türkei schon immer schwergetan hat.

Merkel war stets gegen einen EU-Beitritt des Landes und warb stattdessen für das diffuse Konzept einer "privilegierten Partnerschaft". Damit entfremdete Merkel einerseits die Türkei und deren Präsidenten von Europa; andererseits ermöglichte sie Erdoğan, diese Zurückweisung für sich zu instrumentalisieren.

Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise erwirkte die Kanzlerin, dass die EU ein Flüchtlingsabkommen mit der Türkei abschloss. Getragen wird es von dem richtigen Gedanken, syrische Flüchtlinge in der Region aufzunehmen und zu versorgen, statt sie einem gefährlichen Schicksal auf dem Mittelmeer zu überlassen. Erzwungen wurde es jedoch vor allem dadurch, dass Merkel dafür sorgen musste, die Zahl der in Deutschland ankommenden Flüchtlinge zu reduzieren.

Erdoğan wusste das genau, als er sich auf die Vereinbarung einließ. Das Abkommen war trotzdem kein Fehler. Es stand aber am Beginn einer Kette von Fehlern, die Merkel seitdem begangen hat. Der erste war, Erdoğan glauben zu lassen, Deutschland sei durch das Abkommen erpressbar geworden. Der zweite, dass Merkel bislang nichts unternommen hat, um diesem Eindruck klar entgegenzutreten.

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Sie hat das Gespür dafür verloren, wann sie handeln muss

Wenn es um notwendige Kritik an der Politik der Türkei oder ihres Präsidenten ging, lavierte Merkel in den vergangenen Monaten stets leisetreterisch herum und schickte zunächst andere vor. Sie vermied es zu lange, öffentlich selbst zu sagen, ob türkische Politiker in Deutschland Wahlkampf für Erdoğans Referendum am 16. April machen dürfen. Sie hätte früh erklären können, das dürften sie, solange sie hier nicht hetzen oder die Regierung beleidigen. Damit hätte Merkel vermutlich den Behörden in Gaggenau oder Köln geholfen. Spätestens seit am vorigen Freitag der türkische Justizminister Deutschland eines "faschistischen Vorgehens" beschuldigte, weil er nicht in Gaggenau hatte auftreten dürfen, hätte Merkel sich persönlich eindeutig äußern müssen. Dass sie zunächst auch noch schwieg, als Erdoğan der Bundesregierung "Nazi-Praktiken" vorhielt, ist unverzeihlich. Wieder mussten erst der Fraktionschef und der Regierungssprecher auftreten. Erst Montagnachmittag raffte sich Merkel selbst zu einer Bemerkung auf: Erdoğans "deplatzierte Äußerungen" könne man "ernsthaft eigentlich gar nicht kommentieren".

Merkel, so scheint es, hat das Gespür dafür verloren, wann sie Dinge treiben lassen kann und wann sie einschreiten muss. Das war schon bei der Auseinandersetzung mit Horst Seehofer so, ebenso wie bei der vergeblichen Suche nach einem eigenen Unions-Kandidaten fürs Präsidentenamt. Nun hat sie sich auch im Konflikt mit der Türkei zu lange weggeduckt. Das ist nicht diplomatisch klug, sondern falsch.

© SZ vom 07.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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