Türkei:Das böse Wort Verrat

Lesezeit: 3 min

Die türkische Regierung und regierungsnahe Presseorgane zeigen sich schon längere Zeit unzufrieden mit dem Umgang Deutschlands mit Gülen-Anhängern. Jetzt bemängeln auch regierungskritische Blätter und Oppositionsparteien die deutsche Haltung.

Von Mike Szymanski, Istanbul

Erst die Spitzelvorwürfe gegen Imame in Deutschland. Und jetzt warne der deutsche Geheimdienst auch noch Gülen-Anhänger in Deutschland, anstatt sie als Terroristen zu verfolgen: Die regierungsnahe Presse in der Türkei ist am Mittwoch einig in ihrer Empörung. Die Zeitung Akşam sieht den "letzten Akt des Verrats", die Yeni Şafak schreibt, der Bundesnachrichtendienst arbeite mit Terroristen zusammen. Einen Angriff von allen Seiten auf das Land sieht die Zeitung Türkiye. So weit, so erwartbar. Aber auch die regierungskritische Presse wundert sich über die deutschen Sicherheitsbehörden. Ein Kolumnist der Cumhuriyet schrieb: "Wenn du objektiv den Putschversuch betrachtest, kannst du Gülen sehen. Aber das willst du nicht. Warum nicht?"

Begonnen hatte der jüngste Streit über den Umgang mit Gülen-Anhängern in Deutschland mit einer Einschätzung von BND-Chef Bruno Kahl über den Putschversuch vom Juli 2016. Die Regierung in Ankara machte sofort die Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen dafür verantwortlich. Kahl aber äußerte Zweifel. Er glaube nicht daran, dass die Gülen-Bewegung dahinterstecke. Aus seiner Sicht sei die Gülen-Bewegung auch keine Terrororganisation, sondern "eine zivile Vereinigung zur religiösen und säkularen Weiterbildung". Er ist schwer zu sagen, welche Äußerungen die Türken mehr empört haben.

Denn bei allem politischen Streit in der Türkei: In einem Punkt herrscht über Parteigrenzen hinweg zur Abwechslung große Einigkeit. Gülen ist mehr als ein soziales Bildungsnetzwerk. Auch den versuchten Militärputsch traue man Gülen zu. Eine saubere Beweisführung braucht auch die Opposition nicht, um zu dieser Ansicht zu gelangen. Für Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu ist Gülen schon deshalb schuldig, weil er sich weigere, aus seinem Exil in Pennsylvania in die Türkei zurückzukehren, um sich einem Prozess zu stellen.

Auch die türkische Opposition hält Gülen für gefährlich - aus Erfahrung

Um die Hintergründe des Putschversuchs zu beleuchten, hat das Parlament einen Ausschuss gegründet. Von Anfang an wurde nur in eine Richtung ermittelt: Gülen. Die juristische Aufarbeitung steckt noch in den Anfängen. Dafür, dass aus Sicht der Regierung in Ankara die Lage so klar ist, fällt die Beweisführung bislang eher dürftig aus, konzentriert sich auf Zeugenaussagen und Indizien. Levent Türkkan etwa, Adjutant des Generalstabschefs Hulusi Akar, habe eingeräumt, für Gülen gearbeitet zu haben. General Hakan Evrim soll dem als Geisel genommenen Generalstabschef ein Gespräch mit Gülen angeboten haben - behauptet Akar. Evrim weist das zurück. Gerade erst haben die Prozesse gegen Elitesoldaten begonnen. Einige von ihnen sollen in jener Nacht Jagd auf Erdoğan gemacht haben. Sie hätten den Auftrag gehabt, ihn zu töten. Ein General räumte vor Gericht ein, Putschist zu sein. Mit Gülens Netzwerk aber habe er nichts zu tun. So sagen auch andere Soldaten aus.

Als innenpolitischer Gegner kam die Gülen-Bewegung im Putschsommer 2016 allen recht. Noch bevor überhaupt Anklageschriften geschrieben waren, hatte die Regierung Broschüren herausgegeben, die Gülen zum Urheber des Putsches erklärten. Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan nahm sich die Freiheit, alle "Gülenisten" aus dem Staatsapparat zu entfernen. Er und der Prediger waren einmal Weggefährten, Gülen hatte über Jahrzehnte daran gearbeitet, seine Anhänger in Schlüsselpositionen des Staates unterzubringen. Erdoğan war für seinen Aufstieg auf dieses Netzwerk angewiesen. Die beiden Machtmenschen hatten sich spätestens 2013 überworfen. Die Hintergründe sind unklar, aber Erdoğan warf Gülen vor, Korruptionsermittlungen gegen sein persönliches Umfeld lanciert zu haben. Erdoğan weiß aus persönlicher Erfahrung, wozu das Gülen-Netzwerk in der Lage ist. Er hat es schließlich für seine Zwecke instrumentalisiert, bevor es sich gegen ihn richtete.

Erdoğan hatte stets Angst, wieder von der Macht verdrängt zu werden. Am meisten fürchtete er die kemalistische Elite und vor allem das Militär. Dessen Spielraum schränkte er zunächst mit Reformen ein, das genügte aber nicht, um dessen Macht zu brechen. Offizieren, die offenbar den neuen Zeitgeist nicht verstanden hatten, machte man den Prozess, wegen angeblicher Planspiele zu einem Putsch. Zwei spektakuläre Großverfahren erlebte die Türkei, in denen sich teils Persönlichkeiten des kemalistischen Establishments verantworten mussten. Später stellte sich heraus, dass Beweise gefälscht worden waren. Urteile mussten aufgehoben werden, von einer Verschwörung in der Verschwörung war die Rede. Dafür machte die Opposition das Gülen-Netzwerk verantwortlich. Vor allem die säkulare CHP hatte gelitten, aber auch Selahattin Demirtaş, Chef der kurdischen Partei HDP und Erdoğan-Gegner, sagte wenige Tage nach dem Putsch: "Die Gülen-Gemeinde hat uns schwere Schläge versetzt."

© SZ vom 30.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: