Türkei:Beten für Touristen

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Unzählige Jobs hängen in der Türkei am Tourismus - auch der dieses Flaggen-Verkäufers vor der Moschee im Istanbuler Stadtteil Eminönü. (Foto: Ozan Kose/AFP)

Türkische Gastronomen und Hoteliers verzweifeln: Terroranschläge und die politischen Spannungen zerstören ihr Geschäft.

Von Mike Szymanski, Istanbul

Es ist eigentlich nicht die Zeit, Feierabend zu machen. Aber Kadir Bozbay schaut nicht auf die Uhr, sondern auf die 38 leeren Plätze in seinem Restaurant, auf die runtergebrannte Kohle im Grill und drei noch immer herrenlose Fleischspieße. Einen Gang weiter auf dem Großen Basar in Istanbul sind Verkäufer bei der Arbeit eingenickt. Warum sollten sie auch wach bleiben? Bozbay steht plötzlich im Unterhemd da. Wenn schon keiner kommt, muss er sich zum Umziehen auch nicht in seinen Laden zurückziehen.

Es war einmal alles anders hier. Der Große Basar in Istanbul ist ein Einkaufslabyrinth - schwindelig ist einem hinterher immer, egal, ob man etwas gekauft hat oder nicht. Hier zu sein ist ein Muss, denken viele Touristen. Normalerweise ist dies einer der trubeligsten Plätze der Stadt. Nirgendwo ist das Land so aufregend falsch. Ein seltsamer Ort zwischen Gier und Geiz, großen und kleinen Lügen. Und plötzlich ist er wie verlassen. Das ist die Katastrophe.

Das politische Gedröhne hat die Touristen verjagt, und natürlich auch die vielen Bomben, die jetzt in den westlichen Metropolen des Landes hochgehen. Vergangene Woche explodierte eine Autobombe gerade einmal gut einen Kilometer vom Basar entfernt. Elf Menschen starben. Die Selbstmordattentäterin verbreitete im Namen der militanten kurdischen Terrorgruppe TAK Tod und Schrecken. Vor ihr sprengten sich Fanatiker des sogenannten Islamischen Staates in Istanbul in die Luft. Im Januar starben zwölf Menschen, als einer von ihnen sich inmitten einer deutschen Touristengruppe in die Luft jagte.

Kadir Bozbay ist Gastronom, 32 Jahre alt. Gute Geschäfte haben für ihn auch etwas mit Wohlfühlen zu tun. Er knöpft sein lila Feierabendhemd zu: "Solange hier Bomben explodieren, kommt niemand." Für seinen kleinen Betrieb ist die Gewalt längst zum Problem geworden: Umgerechnet 6000 Euro Miete im Monat muss er für seinen Laden zahlen. Das ist schon schwierig genug in Zeiten, in denen sein Kebap-Restaurant brummt. 50 000 Euro Schulden habe er dieses Jahr schon gemacht. "Wir wissen nicht, wie es weitergehen soll."

2016 gilt als verlorenes Jahr für die Branche, mit einem befürchteten Milliarden-Minus

Keiner anderen Branche haben die innenpolitischen Spannungen und der Terror so sehr zugesetzt wie dem Türkei-Tourismus. Am Ostseestrand rufen einem die Daheimgebliebenen jetzt entrüstet zu: In die Türkei könne man ja nicht mehr fahren. In der Türkei vermisst man schmerzlich jeden, der nicht mehr kommt. Im April sei die Zahl der Besucher so stark eingebrochen wie seit 17 Jahren nicht mehr, melden Tourismusunternehmer aus Antalya. Die Einnahmen aus dem Tourismus sind Zahlen des türkischen Statistikamtes zufolge im vergangenen Jahr schon um etwa drei Milliarden auf 31 Milliarden Dollar zurückgegangen. 2016 gilt als verlorenes Jahr - mit einem befürchteten Minus von acht und mehr Milliarden Euro. Entlang der sogenannten türkischen Riviera an der Südküste hätten Wirtschaftsmedien zufolge 90 Prozent der Hotels Kredite verlangt. Dort bete man für Touristen wie in Dürregebieten der Herrgott um Regen angefleht werde, schreibt die Hürriyet. Ein Reiseunternehmer aus Antalya macht jetzt in einer Seifenoper mit, die in seiner schönen Heimat gedreht wird und vor allem arabische Touristen anlocken soll.

Manzara - Aussicht, heißt das Ferienwohnungsunternehmen von Gabriele Kern-Altındiş und ihrem Mann Erdoğan. Mit sieben Wohnungen in Istanbul fing das deutsch-türkische Unternehmerpaar vor fast zehn Jahren an. Die Neugierde auf das Land war schnell so groß, dass es Anfang 2015 schon 50 Appartements waren. Nur jetzt, wo Streit das deutsch-türkische Verhältnis prägt und Terrorangst herrscht, bleiben auch bei ihnen die Reservierungen aus. "Der politische Kurs der türkischen Staatsregierung macht es für viele derzeit nicht leicht, Gefallen an einer Reise in die Türkei zu finden", sagt die Geschäftsfrau. Für sie ist die Firma mehr als nur ein Geschäft. Nur die Begegnung lasse Toleranz, Respekt und Akzeptanz wachsen, sagt sie. Es gebe deshalb nichts Schlimmeres als wegzubleiben.

© SZ vom 14.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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