Türkei:Ankara erklärt den Einmarsch

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Ein türkisches Mädchen lässt sich fotografieren, während Panzer auf dem Weg zur syrischen Grenze einen Halt machen. (Foto: Bulent Kilic/AFP)

Die türkische Regierung gibt den Medien Ratschläge zur Berichterstattung über die Angriffe in Syrien. Es gehe um das Interesse der Nation. Sie weiß: Die Militäroffensive birgt Risiken für die Stimmung im eigenen Land.

Von Paul-Anton Krüger und Luisa Seeling, Kairo/München

Für die Nachrichtenwebsite T24 und die Zeitung Sözcü war die Einladung des Premierministers höchst erstaunlich. Sie zählen zu den regierungskritischen Medien in der Türkei, meist werden sie ignoriert, wenn die Führung in Ankara zur Pressekonferenz lädt. Diesmal aber schien Binali Yıldırım Wert auf Vollständigkeit zu legen, als er am Sonntag mit Journalisten über Operation Olivenzweig sprach, die Militäroffensive in Nordsyrien. Das letzte Mal, stellt Sözcü verblüfft fest, habe man an einem Briefing des Premiers vor elf Jahren teilnehmen dürfen. Mehreren Zeitungen nach äußerte Yıldırım ein paar Wünsche, was die Berichterstattung über die Operation betrifft: Es solle betont werden, dass nicht Zivilisten betroffen seien, sondern Terror-Organisationen. Auch habe der Premier eine "umsichtige" Berichterstattung angemahnt, die das nationale Interesse der Türkei im Blick behalte.

Türkische Medien begleiten die Offensive intensiv; regierungsnahe Blätter wie die krawallige Yeni Şafak titeln angriffslustig, nun sei die "Zeit des Sieges" angebrochen. Am Wochenende rückten Bodentruppen in den kurdischen Kanton Afrîn vor, sowohl syrische Rebellen, die für die Türkei kämpfen, als auch türkische Panzer. Am Montag feuerte Artillerie auf Ziele der kurdischen YPG-Milizen. Sie behaupten, der Vormarsch sei gestoppt. Laut der Türkei schossen sie Raketen über die Grenze. Es gab Tote und Verletzte auf beiden Seiten.

Das türkische Militär vermeldete den Tod eines Soldaten.

Präsident Recep Tayyip Erdoğan bekräftigte, die Streitkräfte würden Afrîn unter ihre Kontrolle bringen, wie zuvor die syrischen Städte Dscharablus, al-Rai und al-Bab, die von der Terrormiliz Islamischer (IS) Staat befreit wurden. "Es gibt keinen Schritt zurück aus Afrîn", sagte er - ungeachtet internationaler Kritik. Das habe er Russland deutlich gemacht, aber auch den USA sowie anderen Partnern in der Koalition gegen den IS. Auf Initiative Frankreichs sollte aber der UN-Sicherheitsrat Montagabend über die Offensive beraten.

Die türkische Regierung lehnt einen Staat oder eine Autonomie der Kurden an ihren Grenzen ab. Verhindern will sie solche Bestrebungen, indem sie eine 30 Kilometer tiefe Sicherheitszone auf syrischem Gebiet einrichtet. Die YPG sollen von dort vertrieben werden. Die Türkei sieht sie als Bedrohung und als Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. Sie fürchtet, dass die Aktivitäten der YPG den Konflikt im eigenen Land zwischen PKK und der Armee weiter befeuern könnten.

Die YPG beteuern, unabhängig zu sein; PKK-Gründer Abdullah Öcalan sei lediglich eine Inspirationsfigur. Die sogenannten Volksverteidigungseinheiten wurden 2004 als der bewaffnete Arm der Partei der Demokratischen Union (PYD) aufgestellt. Die Kurden reagierten damit auf die Niederschlagung von Unruhen in der Stadt Qamishli durch das syrische Regime, damals noch unter Präsident Hafis al-Assad. Der hatte jahrzehntelang der PKK Zuflucht gewährt, um die Türkei und Saddam Hussein zu schwächen. Im Herbst 1998 verwies Assad PKK-Führer Öcalan des Landes, nachdem die Türkei mit Krieg gedroht hatte.

Unter den Gründungskadern der YPG sollen viele PKK-Kämpfer gewesen sein, die aus den Kandil-Bergen im Irak zurückkehrten. Die Türkei wirft den YPG vor, dass aus ihren Gebieten Terroristen einsickern. Bedeutung erlangten die YPG, als Baschar al-Assad in den Anfangsjahren des Bürgerkriegs seine Truppen aus dem Norden abzog und die Kurden dort Selbstverwaltungen einrichteten. Die YPG stieg de facto zur Armee der syrischen Kurden auf, kämpfte gegen islamistische Rebellen und Dschihadisten. Die YPG kontrollieren heute sowohl Afrîn als auch die weiter östlich gelegenen kurdischen Kantone in Syrien.

Präsident Erdoğan warnt die Kurden, "der Nation nicht in den Rücken zu fallen"

YPG-Einheiten verteidigten Ende 2014 mit US-Luftunterstützung Kobanê gegen den IS und wurden der wichtigste Partner der USA im Kampf gegen die Terrormiliz in Syrien - eine Kooperation, die Washington fortsetzen will. Diese Konstellation ist es, die Erdoğans Plänen in der Bevölkerung Zustimmung verschafft. Viele Türken begrüßen das Vorgehen gegen militante Kurden, erst recht, wenn diese von den bei vielen verhassten USA unterstützt werden. Die größte Oppositionspartei, die sozialdemokratische CHP, und die nationalistische MHP , unterstützen den Einsatz, den CHP-Chef Kemal Kılıçdaroğlu "unvermeidlich" nannte. Doch die Stimmung könnte kippen, wenn sich die Offensive als langwierig und verlustreich herausstellt.

Fraglich ist, ob die Operation dazu beiträgt, den Kurdenkonflikt in der Türkei zu befrieden - oder das Gegenteil bewirkt. Die PKK kündigte an, die YPG durch Anschläge in der Türkei unterstützen zu wollen. Die im Parlament vertretene prokurdische HDP rief zu Solidarität mit Afrîn auf. Erdoğan konterte mit einer Warnung an die Kurden in der Türkei, "der Nation nicht in den Rücken zu fallen". Wer protestiere, werde gestellt: "Ihr werdet auf Schritt und Tritt verfolgt." Laut Innenministerium gab es bereits zwei Dutzend Festnahmen wegen "Terror-Propaganda" im Zusammenhang mit dem Einsatz in Afrîn; oppositionelle Websites melden, dass Personen festgenommen wurden, die den Einmarsch in den sozialen Netzwerken kritisiert hatten.

© SZ vom 23.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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