Tschechien:Vom Start weg angezählt

Lesezeit: 3 min

Es wird eng: Tschechiens Ministerpräsident Babiš braucht noch das Vertrauen des Parlaments, zugleich droht ihm der Entzug der Immunität. (Foto: Petr David Josek/AP)

Der designierte Ministerpräsident Babiš muss schon mit dem ersten Sitzungstag des Parlaments um seine Immunität kämpfen. Doch der umstrittene Oligarch hat wichtige Verbündete.

Von Florian Hassel, Warschau

Die Staatsanwälte verloren keine Zeit. Nur wenige Stunden, nachdem am Montag das neugewählte tschechische Parlament zur ersten Sitzung zusammengekommen war, reichte die Prager Staatsanwaltschaft einen Antrag auf Aufhebung der Immunität zweier Abgeordneter ein: Die Justiz hat Andrej Babiš, mehrfacher Milliardär und als Chef des Wahlsiegers Ano-Partei designierter Ministerpräsident Tschechiens, wegen des Verdachts auf millionenschweren Betrug angeklagt. Sie will ihn ebenso vor Gericht stellen wie Babiš' Stellvertreter Jaroslaw Faltynek. Doch ob das Parlament dem Antrag der Staatsanwälte folgt, ist ebenso offen wie die Antwort auf die Frage, ob und wann Tschechien eine arbeitsfähige Regierung bekommt - oder die zehn Millionen Tschechen sich auf eine vorzeitige Neuwahl im nächsten Jahr einstellen müssen.

Vordergründig ist die Sache einfach: Babiš und seine rechtspopulistische Ano haben die Wahl Ende Oktober klar gewonnen und stellen 78 von 200 Abgeordneten. Unter normalen Umständen wäre es für Babiš ein Leichtes, Koalitionspartner zu finden. Doch da ist die Anklage gegen Babiš, der im Verdacht steht, die Europäische Union beim Bau des Luxusressorts "Storchennest" südlich von Prag durch die Verschleierung des echten Eigentümers - der Babiš -Holding Agrofert - um umgerechnet knapp zwei Millionen Euro Subventionen betrogen zu haben. Diese stehen nämlich nur Kleinunternehmern zu. Die meisten im Parlament vertretenen Parteien haben eine offizielle Koalition mit dem Wahlsieger Ano ausgeschlossen, solange dieser von dem unter Anklage stehenden Babiš geführt wird.

Wenn es nach dem Präsidenten geht, kann Babiš auch als Angeklagter Premier werden

Der unter Druck stehende Oligarch versuchte, sofort nach Zusammentreten des Parlaments denjenigen Ausschuss zu verkleinern und zu dominieren, der die Aufhebung der Immunität oder deren Fortbestand empfiehlt. Doch Babiš scheiterte; zudem kündigten die meisten Parteien an, für eine Aufhebung seiner Immunität zu stimmen. Da für einen solchen Beschluss indes eine Mehrheit nötig ist, reicht es Babiš, neben den 78 Stimmen der eigenen Partei 23 andere Abgeordnete hinter sich zu bringen: Dabei setzt er vor allem auf die Kommunisten - die letzte unreformierte kommunistische Partei in Zentral- und Osteuropa - sowie auf die rechtsradikale SPD des japanischstämmigen Tomio Okamura. Sowohl Kommunisten als auch SPD stimmten bei ersten, wichtigen Entscheidungen mit der Babiš-Partei und installierten am Mittwoch dessen Gefolgsmann Radka Vondráčka als Parlamentspräsidenten.

Dieser muss dem Parlament nun den Antrag auf Aufhebung der Immunität von Babiš vorlegen, das Abgeordnetenhaus muss in der nächsten Sitzung darüber abstimmen. Lehnt es die Aufhebung der Immunität ab, kann die Justiz gegen Babiš erst nach einem Ausscheiden aus dem Parlament verhandeln. Wird Babiš Immunität aufgehoben, muss er zwar bald vor Gericht, kann aber trotzdem Ministerpräsident werden - jedenfalls wenn es nach Tschechiens Präsident Miloš Zeman geht. Der mit Babiš politisch verbundene populistische Präsident, der im Januar selbst zur Wiederwahl ansteht, setzt im Wahlkampf auf die Unterstützung, zumindest Neutralität, von Babiš und seiner Partei.

Der Präsident will den angeklagten Oligarchen und seine künftige Regierung bis Mitte Dezember vereidigen, Anklage hin oder her. So lange führt in Tschechien noch die alte Regierung die Geschäfte. Theoretisch kann ein Ministerpräsident Babiš Tschechien auch bei einem laufenden Prozess gegen ihn und an der Spitze einer Minderheitsregierung führen - und im Parlament bei vielen Gesetzentwürfen auf die Stimmen von Kommunisten und SPD zählen. Bisher aber schließt Babiš eine Minderheitsregierung aus und versucht, andere Parteien doch noch mit dem Angebot für die Führung mächtiger Parlamentsausschüsse oder Ministerien für eine Regierung zu gewinnen. Andernfalls, drohte Babiš den anderen Parteien am Mittwoch, müsse halt neu gewählt werden. Etliche Parteien, die bei der Wahl Ende Oktober nur knapp über die Fünf-Prozent-Hürde ins Parlament gelangt sind, müssten befürchten, bei einer Neuwahl weniger Stimmen zu erhalten und nicht mehr ins Parlament zu kommen.

Sollte es bei der sich abzeichnenden Zusammenarbeit zwischen Babiš, Kommunisten und SPD bleiben, so hat auch Russlands Präsident Wladimir Putin Grund zur Freude. Schon jetzt wirbt Tschechiens Präsident Zeman, in diesen Tagen mit 120 tschechischen Geschäftsleuten in Russland zu Gast, für eine Normalisierung der Beziehungen zu Russland - sprich: für ein Ende aller EU-Sanktionen gegen Moskau nach dessen Aggression in der Ukraine. Auch Tschechiens Kommunisten unterstützen Moskau, sind gegen EU-Sanktionen und gegen die Nato. Der rechtsradikale SPD-Chef Okamura plädiert ebenfalls für mehr Nähe zu Moskau und für Tschechiens Austritt aus der EU. Okamura zufolge wollen Mitte Dezember auch andere rechtsradikale europäische Parteiführer - etwa Marine LePen und Geert Wilders - nach Prag kommen, um "über ein neues Modell europäischer Kooperation zu diskutieren".

© SZ vom 24.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: