Tourismus:Mallorca des Nordens

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Seit die Isländer die Fußball-EM aufgemischt haben, kann sich ihre Heimat kaum noch vor Touristen aus aller Welt retten. Für Land, Leute und seltene Moose hat das nicht nur Vorteile.

Von Hans Gasser

Bei Icelandair, der größten isländischen Fluggesellschaft, trauten sie ihren Augen nicht: Während der Woche der Fußball-EM, in der die Kicker auch gegen England gewannen, schnellten die Buchungen im Vergleich zum Vorjahr um bis zu 300 Prozent in die Höhe. Besonders stark sei das Interesse aus Deutschland gewesen, sagt ein Sprecher der Fluggesellschaft: "Solche Zuwächse haben wir bisher noch nie gesehen." Auch aus anderen europäischen Ländern habe man mehr Buchungen verzeichnet, aber die Begeisterung für die auch durch ihr "Huh!"-Schrei-Ritual im Gedächtnis gebliebenen Fußballer habe in Deutschland die größte Wirkung.

Die von Vulkanen und Gletschern bedeckte Insel erlebt einen Touristenboom, der in ganz Europa seinesgleichen sucht. So stieg die Zahl der ausländischen Gäste von 488 000 im Jahr 2010, als der Eyjafjallajökull das Land bekannt machte, auf 1,3 Millionen 2015. Das entspricht jährlichen Zuwachsraten zwischen 20 und 30 Prozent. Die Deutschen sind nach den USA und Großbritannien die stärkste Gästegruppe. 2015 brachte der Tourismus erstmals mehr Devisen ein als die Aluminium-Herstellung oder die Fischerei.

Alles bestens also für das Land, das 2008 knapp am Staatsbankrott vorbeigeschrammt ist? Nicht ganz. Denn Infrastruktur und Umwelt können mit der großen Nachfrage nach Urlaub nicht ganz Schritt halten. In den Sommermonaten gibt es viel zu wenige Hotelzimmer, weshalb nun viele Wohnungen speziell in Reykjavík über Internetplattformen wie Airbnb an Touristen vermietet werden. Das trieb die Mieten für die Einheimischen in die Höhe, in den vergangenen fünf Jahren stiegen sie um 30 Prozent. Zurzeit sind mehrere große Hotels in der Hauptstadt im Bau.

Touristisch viel genutzte Straßenverbindungen wie etwa jene zwischen dem Gullfoss-Wasserfall und dem meistbesuchten Geysir sind immer noch zweispurig, erst diesen Sommer wird mit der Verbreiterung begonnen. An vielen Touristenattraktionen gibt es oft keine gute Besucherlenkung mit Holzstegen, sodass die Touristen langsam wachsende Moose und Flechten zertrampeln.

Was die Politik verschlafen hat, versucht die nationale Tourismusorganisation mit halbernst gemeinten Filmchen auf der eigenen Website abzumildern. In der "Iceland Academy" lernen Touristen, dass sie zum Fotografieren nicht auf offener Straße stehen bleiben, nicht wild campen oder auf der kargen Vegetation herumtrampeln sollen.

"Werden wir zum Mallorca des Nordens?", fragte die Schriftstellerin Kristín Marja Baldursdóttir im Radio. Die Diskussion ist hochgekocht, seitdem Zeitungen darüber berichtet haben, dass wegen des Mangels an Toiletten Touristen ihre Notdurft sogar am Thingvellir verrichtet haben. Der Versammlungsplatz unter freiem Himmel ist Nationalheiligtum, da er seit dem Mittelalter als eine Art Parlament der Wikinger diente.

Wer von den Fußball-Wikingern inspiriert in diesem Sommer auf die Insel reisen möchte, der wird kaum noch einen Flug oder ein Hotelbett bekommen. "Alle Hotels sind komplett voll", sagt eine Sprecherin von Reykjavík Tourismus. Und betont, wie schön der Winter auf der Insel sei. Da sei noch was frei.

© SZ vom 19.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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