Tierschutz:Ein Gericht, das Hausfriedensbruch erlaubt

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Das Landgericht Magdeburg spricht drei Tierschützer frei, obwohl sie eine Straftat begangen haben. Das Urteil und seine Begründung sind verheerend - für Behörden, die ganz offensichtlich unwillens waren, ihre Arbeit zu machen.

Von Ronen Steinke

Was für ein Land ist Deutschland? Ein Rechtsstaat, dessen Polizisten rückhaltlos, rasch und aus eigenem Antrieb allen Spuren hin zu rechtsextremen Gruppen nachgehen. Überdies ist es ein Staat, dessen Veterinärämter die Einhaltung tierschutzrechtlicher Mindeststandards in Hühnerkäfigen und Schweinekoben sehr ernst nehmen und durchsetzen, selbst wenn der zuständige Agrar-Baron der größte Arbeitgeber im Ort ist. Meistens.

Und wenn nicht? Es waren drei mutige Staatsschutz-Beamte in Sachsen-Anhalt, die an die Öffentlichkeit gingen mit ihrer Beobachtung, dass einige Polizeidirektionen im Land bewusst wegsähen bei rechter Gewalt. 2007 war das. Und es sind jetzt drei Tierschutz-Aktivisten im selben Bundesland, die auf erbärmliche Zustände in der Massentierhaltung aufmerksam gemacht haben - von denen man zwar nicht mehr überrascht sein durfte, die aber, da sie nun einmal in einem Film dokumentiert sind, Kontrollbehörden in Zugzwang bringen. Dazu waren sie nachts in eine Schweinemastanlage eingestiegen. Dürstende Tiere, verletzte Tiere, tote Tiere: Die Aktivisten filmten. Damit dokumentierten sie das Wegsehen der Behörden implizit gleich mit.

Kein Gemeinwesen kann es gern sehen, wenn private Vigilanten über Zäune klettern und selbst Gendarm spielen. Die drei Tierschützer hatten, nachdem Appelle an die Behörden nichts brachten, das Recht in die eigene Hand genommen. Sie brachen Recht, um auf Rechtsbrüche aufmerksam zu machen. In verblüffender Deutlichkeit hat nun aber das Landgericht Magdeburg einige Dinge klargezogen: Man nennt so etwas zwar Hausfriedensbruch. Aber wahr ist auch, dass ohne solche Regelbrüche diese Missstände nicht behoben würden. Die drei Tierschützer wurden am Mittwoch freigesprochen.

Das Urteil von Magdeburg ist verheerend - für die Behörden

Wenn Veterinärämter und andere Einrichtungen der Landkreise ihrer Arbeit nicht nachkämen, dann sei "das Engagement des einzelnen Bürgers gefragt", erklärte der Vorsitzende Richter wörtlich. Das ist ein Satz, den man auf sich wirken lassen muss.

Der Richter sagt: Wenn der Staat derart versagt wie hier beim Durchsetzen geltenden Rechts, dann muss er sich diese Einmischung von Bürgern gefallen lassen. Solange Tierschutz-Whistleblower mehr auf der Seite der (nicht übermäßig anspruchsvollen) Tierschutz-Paragrafen stünden als die zuständigen Behörden, könne die Strafjustiz schwerlich diese Tierschützer als Kriminelle verfolgen. Die juristische Begründung dafür heißt: Rechtfertigung durch ein überwiegendes anderes Schutzgut. Der Hausfriedensbruch ist dadurch legitimiert. Die politische Aussage hat man in dieser Deutlichkeit noch nie von einem derart hohen Gericht gehört: Die Veterinäraufsicht tut so wenig für die Einhaltung des Rechts, dass selbst nächtliche Einbrecher - sofern sie sich nicht zu Rächern aufschwingen, sondern nur zu gewaltlosen Aufklärern - dem Rechtsstaat besser dienen als die Ämter.

Das sind harsche Worte, die man in Sachsen-Anhalt sehr ernst nehmen sollte - und es sind ermutigende Worte auch an andere, die schmutzige Geheimnisse ans Licht bringen wollen. Denn dort, wo der Staat selbst mit großer Energie Aufklärung betreibt, etwa beim Aufspüren von Steuerverweigerern mithilfe angekaufter Steuer-CDs, nimmt er Rechtsbrüche auch in Kauf. Wo sich Einzelne aber in Gefahr begeben, um Behörden an ihre Pflicht zu erinnern, da lässt er sie noch zu oft allein.

Gegen die drei Staatsschutzbeamten im Jahr 2007 gab es Disziplinarverfahren. Gegen Tierschützer, die unbefugt über Zäune klettern, gab es bis zuletzt immer wieder Schuldsprüche vor Gericht. Vielleicht beginnt da jetzt eine Wende.

© SZ vom 13.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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