Thüringen:Bürger ohne Meister

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In Tautenburg in Thüringen leben etwa 300 Menschen. Unter ihnen fand sich kein Kandidat für das Ehrenamt des Bürgermeisters. (Foto: Karina Hessland/imago)

In mehreren Gemeinden gestaltet sich die Suche nach Orts-Chefs schwierig. Es gab bei der Kommunalwahl keine Kandidaten für den oft ehrenamtlichen Posten.

Von Ulrike Nimz, Leipzig

Tautenburg liegt in einem grünen Tal zwischen bewaldeten Höhen. Etwa 300 Menschen leben in der Gemeinde im Osten Thüringens. Es gibt eine Burgruine, ein Dammhirschgehege, eine Sternwarte und vierhundert Jahre alte Bäume. Aber einen Bürgermeister-Kandidaten zur Kommunalwahl - den gab es nicht.

Das hatte zunächst einen praktischen Grund. Der Amtsinhaber, ein diplomierter Finanzwirt, war auch Wahlleiter der Gemeinde, konnte nicht selbst kandidieren. Das verbietet Paragraf 4 des Thüringer Kommunalwahlgesetzes. Die Stimmzettel blieben also leer am vergangenen Sonntag. Gewählt wurde trotzdem in Tautenburg.

Findet sich niemand, der den zumeist ehrenamtlichen Posten des Bürgermeisters bekleiden will - in vier thüringischen Gemeinden war das der Fall - können die Wähler quasi Vorschläge unterbreiten, indem sie Namen und Beruf eines favorisierten Gemeindemitglieds auf den Wahlzettel schreiben. Die zwei Kandidaten, die am häufigsten genannt werden, stellen sich einer Stichwahl. Der Siegerin oder dem Sieger wird anschließend die entscheidende Frage gestellt: Nehmen Sie die Wahl an? Lautet die Antwort Nein, muss erneut gewählt werden. In Tautenburg fällt die Entscheidung wohl nach einem zweiten Wahlgang Ende April. Die besten Chancen hat Rolf Fischer, Autohausbesitzer.

Auch im zehn Kilometer entfernten Rauschwitz hatten sie niemanden auf dem Zettel. Im Januar war der CDU-Amtsinhaber aus persönlichen Gründen zurückgetreten. Geschäftsführender Bürgermeister wurde sein Erster Beigeordneter, Andreas Mentzel, parteilos, Malermeister. Seit Anfang des Jahres liegen nicht nur Pinsel und Farbroller in seiner Hand, sondern auch die Geschicke des Ortes. "Man wächst da irgendwie rein", sagt Mentzel, und Euphorie klingt wahrscheinlich anders. Seit drei Jahren sitzt Mentzel im Gemeinderat. Bei der Kommunalwahl am Wochenende bekam er 43 Stimmen, verpasste mit 44,8 Prozent die absolute Mehrheit nur knapp. Nun harrt er der Stichwahl. "Ich habe immer gesagt, ich mache es, wenn die Leute das wollen", sagt Mentzel. Aber manchmal wünscht er sich etwas mehr Rückenwind von den Rauschwitzern. Auch deshalb wollte er kein "Kreuzchenkandidat" sein, wie er sagt. "Die Leute sollen nicht einfach nur einen Vorschlag durchwinken, sondern sich ernsthaft Gedanken machen, wen sie für sechs Jahre im Amt haben wollen."

Ganz ähnlich ist die Situation in Marth, ganz im Westen des Freistaats gelegen. Zwar gab es zuletzt einen engagierten Bürgermeister, aber auf dem Stimmzettel stand dessen Name nicht. Peter Dreiling, Chef einer Firma für Automatisierungstechnik, ist 65 Jahre alt und ebenfalls ohne Parteibuch. Als er 2012 die Wahl gewann, sagte er der Lokalzeitung: "Jetzt ist es wohl mein Job, dass alle in Marth sich glücklicher fühlen als vorher." Sechs Jahre später hat Dreiling seinen Job nicht gerade satt, will jedoch Platz machen für Jüngere, wohl wissend, dass die nicht Schlange stehen. Dreiling glaubt die Gründe für die Zurückhaltung zu kennen: Das Vertrauen in die etablierten Parteien sei gesunken. Deshalb gebe es auf dem Land - wenn überhaupt - parteilose Kandidaten. Und die Verwaltungsarbeit werde auch immer komplizierter. "Das tut sich kaum noch jemand an." Die Stichwahl in zwei Wochen tut Dreiling sich an. Sollte er wider Willen gewinnen, wird er die Wahl wohl annehmen - und den Zweitplatzierten überreden, Stellvertreter zu werden.

© SZ vom 18.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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