SZ-Leitartikel:Der verhasste Freund

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Stefan Kornelius

Seitdem es Amerika gibt, gibt es den Amerikanismus, und nicht lange darauf entdeckten die britischen Reiseschriftsteller auch den Antiamerikanismus, das feindselige, hämische, nicht selten überhebliche Urteil über die abtrünnigen Brüder und Schwestern, die auf der anderen Seite des Atlantiks den Staat und ihr Leben neu erfanden und die Fundamente einer Kultur legten, die heute für viele als Bedrohung empfunden wird.

Im Amerikanismus steckt beides: das politische Sendungsbewusstsein, die tiefe Überzeugung von der Überlegenheit eines demokratischen und freiheitlichen Systems.

Und das kulturelle und ökonomische Sendungsbewusstsein, die Kraft der Massenkultur, die häufig gleichmacherisch ist.

Im Antiamerikanismus entlädt sich der Widerstand dagegen.

Die Neuschöpfung Amerika eignet sich besser als jede andere Nation als Projektionsfläche für Wünsche und Widerstände, weil das Erfolgsrezept seines Systems fast schon naiv und damit provokativ wirkt.

Nicht militärische Aggression, sondern politischer und ökonomischer Erfolg als Mittel der Eroberung - Einsicht gegen Zwang.

Und deswegen auch der quasi logische Widerstand gegen ein Land, das qua Größe und Homogenität seiner Rolle als Leitdemokratie gar nicht entgehen konnte; Amerika, das wie ein magnetischer Pol die Späne anzog.

Erst am Ende des vergangenen Säkulums, als der Begriff vom amerikanischen Jahrhundert schon längst geprägt, als der Kalte Krieg zu Ende und die politische Ordnung der westlichen Welt gefestigt waren, da drängte sich diese Übermacht wuchtig ins Bewusstsein, weil sie so haltlos und ungezügelt wirkte in einer Welt ohne Gegenpol.

Amerika reagierte wie so häufig in Zeiten politischen Umbruchs: Das Land zog sich zurück, ignorierte immer mehr den Rest des Planeten.

Kongress und politische Führung spielten für das heimische Publikum, jenseits der Gestade schrumpfte die Welt.

Aber die politische Autorität, das Sendungsbewusstsein, die kulturelle und ökonomische Kraft wollten nicht kleiner werden, weil die verflochtene Welt gar nicht anders konnte, als nach den von den USA geprägten Prinzipien zu funktionieren.

Dieser amerikanische Anspruch und die Erwartung der übrigen Welt, das Engagement und die mangelnde Rücksichtnahme, Selbstbild und Fremdbild - all das lässt sich zusammenrühren zu einem Gebräu, an dem sich Antiamerikanismus trefflich nährt.

Aber Antiamerikanismus ist ein billiges Gefühl, das nur kurz das Glück der eigenen Überlegenheit gewährt. Billig deshalb, weil es wie die meisten -ismen vereinfacht, ausblendet, ignoriert.

Sicher: Dieser Kick des Triumphs war leicht zu haben, besonders in den vergangenen Monaten.

Ist er nicht zusammengesackt, dieser auf Sand gebaute Wirtschaftsboom?

Regt sich nicht überall auf der Welt Widerstand gegen den merkantilen Einheitswahn?

Ist nicht das mauschelnde politische System in Europa überlegen, wenn man die zerstörerische Kraft der amerikanischen Demokratie betrachtet, wie sie sich in einem Impeachment zeigt?

Oder noch mehr im Detail, jetzt, nachdem die Kamikaze-Flieger das Land heimgesucht haben: Sieht Amerika nun das Ergebnis einer fehlgeleiteten Politik im Orient, einer kulturellen Insensibilität gegenüber dem Islam, einer zu ruppigen Bündnispolitik?

Hat sich das Land all dies selbst zuzuschreiben, weil es so ungestüm auftritt?

Überall sind sie jetzt zu hören, die relativierenden, erklärenden Theorien. Dass die islamische Welt die Stationierung amerikanischer Truppen in Saudi Arabien als Besetzung des heiligen Landes empfindet; dass die Schutzrolle Amerikas für Israel gar nicht erlaube, dass die palästinensische Bevölkerung ihre Rechte jemals wird wahrnehmen können.

Und schon wird präventiv Schuldzuweisung betrieben: Amerika bereite einen maßlosen Krieg vor, Amerika sei ungezügelt, dem Hass blind ergeben.

Im Ergebnis bewirkt das Argumentationsmuster zweierlei: Es relativiert und es entschuldigt. Aber es gibt wenig zu relativieren angesichts der Monströsität einer Tat, die sich jenseits aller politischen, kulturellen oder religiösen Logik abspielt, gleichwohl aber den Amerikanismus zum Ziel hat.

Einer Tat, die in ihrer Aggressivität und Brutalität im krassen Gegensatz steht zu den offenen und auch angreifbaren Werten dieser amerikanischen Sendungsphilosophie.

Die Simplifizierung entspringt einem antiamerikanischen Instinkt, der die Komplexität der Verstrickung Amerikas mit der Welt ignoriert. Nur dies: Wer darauf hinweist, dass die Präsenz der USA in Saudi Arabien eine religiöse Beleidigung sei, ignoriert den Wunsch der saudischen Herrscherfamilie nach äußerem Schutz und einem inneren Stabilitätspfeiler, der das Land vor den Attacken eines Saddam Hussein und den Wirren eines islamischen Fundamentalismus bewahren hilft.

Und er ignoriert die strategische Bedeutung einer ölgeschwängerten Region für die Bewohner fußbodenbeheizter Ökoheime in Deutschland, deren Interesse an der Gegend vermutlich erst wieder steigt, wenn die USA abgezogen und die Energiepreise gestiegen sind.

Hass auf Amerika ist nun auf immer dokumentiert im Feuerball des World Trade Centers, als Fanal des Fanatismus, der sich aufgeladen hat an der vereinfachenden Wirkung des Antiamerikanismus.

Es ist Zeit für die Welt, sich auf die eigentliche Botschaft des Amerikanismus zu konzentrieren: auf die Bewahrung von Freiheit und Demokratie.

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