SZ-Interview:"Unser Ruf ist schwer beschädigt"

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Madeleine Albright, frühere US-Außenministerin, über die USA als unverzichtbare Macht, das Sendungsbewusstsein von George W. Bush und die Fehler der Amerikaner in Guantanamo und im Irak.

Stefan Kornelius

Madeleine Albright, 69, war unter Präsident Bill Clinton Außenministerin der USA. Nach dem 11. September 2001 unterstützte sie Präsident George Bush und den Krieg in Afghanistan, wandelte sich dann aber zu einer Kritikerin seiner Politik vor allem im Irak, auch wenn sie im Ton moderat bleibt.

(Foto: Foto: AP)

SZ: Sie beschrieben sich mal als Übersetzerin für kulturelle und religiöse Unterschiede in der Welt. Kommen Sie mit der Arbeit noch nach?

Albright: Es gab schon immer große Brüche. Aber der Hauptgrund für die Missverständnisse der letzten Jahre war der Irak. Und die Tatsache, dass Amerika seine Macht einsetzt und dies als Bestandteil seines Wertekanons sieht.

SZ: Warum durchziehen Moral und Werte so massiv die US-Außenpolitik?

Albright: Die USA hatten schon immer eine werteorientierte Außenpolitik. Präsident Bush machte allerdings deutlich, dass es eine Mission sei, Freiheit zu verbreiten. Das hat uns auseinander getrieben. Dazu kam die Benennung einer Achse des Bösen.

SZ: Sie argumentieren selbst, dass die USA eine führende Rolle spielen und ihre Dominanz zeigen müssen. Was unterscheidet Sie von Bush?

Albright: Ich habe immer an die essentielle Rolle der USA geglaubt - als unverzichtbare Macht, wie ich es nannte.

Aber das bedeutete nie, dass die USA alles alleine machen sollten.

Ich hatte den Begriff auch gebraucht, um die Amerikaner zu motivieren, überhaupt eine außenpolitische Rolle nach dem Kalten Krieg zu spielen. Präsident Bush hat einen viel missionarischeren Ansatz.

SZ: Wo endet Interessenpolitik, wo beginnt die Mission?

Albright: Vieles liegt in der Wortwahl. In der Rede zur zweiten Amtseinführung sprach er von der Mission der USA, er benutzte so ziemlich die gleichen Worte wie sie in der Bibel Moses zugeordnet werden.

Jeder Präsident bezog sich auf Gott. Bush aber ist sich seiner religiösen Überzeugung so sicher. Sein Satz: "Gott möchte, dass ich Präsident werde . . .", oder "Gott ist auf unserer Seite" - das irritiert. Lincoln betonte, dass wir auf Gottes Seite sein müssten.

SZ: Darf ein Land Gott für sich reklamieren?

Albright: Die USA sind ein außergewöhnliches Land. Sie wurden gegründet von Menschen, die der religiösen Verfolgung entflohen. Deshalb gelten für uns aber keine Ausnahmen. Amerika ist von Gott gesegnet, aber andere Länder sind das auch.

Wir können Gott nicht allein beanspruchen. Wir müssen uns deshalb mit dem identifizieren, was Gott will. Und wir sollten nicht behaupten, dass Gott alles gut heißt, was wir tun. Ich beobachte diese Überbetonung von Gottes Zuneigung, die gefährlich werden kann.

Außerdem ist diese Haltung ein Affront anderen gegenüber. Wenn wir behaupten, Gott sei auf unserer Seite, dann sieht es so aus, als ob jeder, der nicht unserer Meinung ist, Streit mit Gott sucht.

SZ: Warum wächst in aller Welt die Bedeutung von Religion in der Politik?

Albright: Wenn Menschen keine Antwort mehr finden, dann wenden sie sich häufig an Gott. Religion bietet eine Antwort darauf, wie die Dinge zusammenhängen. Ich mag eigentlich nicht behaupten, dass sich die Menschen Gott nur aus Verzweiflung oder Ratlosigkeit zuwenden, aber sicherlich hat die Religiosität mit dem Verlust von Identität zu tun.

SZ: Was ist Ihre liebste Bibel-Stelle?

Albright: Ich mag die Bergpredigt.

SZ: Sie treten stark für die Trennung von Staat und Kirche in den USA ein. Aber dennoch hat Religion immer mehr Einfluss auf die Politik. Steht die Trennung nur noch auf dem Papier?

Albright: Die Trennung ist die Grundlage unserer aufgeklärten Demokratie. Nur: Sie können Staat und Kirche trennen, aber sie können die Menschen nicht von ihrem Glauben trennen. Ich habe für zwei sehr religiöse Präsidenten gearbeitet, Carter und Clinton. Aber sie haben ihre Religion niemals zur Politik erhoben.

SZ: Das mangelnde Verständnis für Religion ist ein Hauptgrund für den Zusammenprall mit dem Islam. Wie funktioniert Versöhnung?

Albright: Es gibt viele informelle Kontakte zwischen den Kirchen. Die Politik muss sich besser einklinken. Religiöse Führer sollten konsultiert werden, sie sollten beraten und Entscheidungen ihren Gemeinden vermitteln helfen.

SZ: Was sind die größten Trugschlüsse über den Islam?

Albright: Der Islam ist keine Religion des Krieges. Viele Leute bringen Terroristen und Islam zusammen - das ist falsch. In Wahrheit ist der Islam eine friedfertige Religion. Radikalen Extremisten werden mit dem Islam gleichgesetzt. Aber wir lassen das Christentum ja auch nicht vom Ku-Klux-Klan definieren.

SZ: Irans Präsident Ahmadinedschad schrieb dem US-Präsidenten einen religiösen Belehrungsbrief. Sind wir jetzt auf der Ebene einer theologischen Auseinandersetzung um den rechten Glauben?

Albright: Das ist interessant, weil wir darüber diskutieren, wie auf den Brief zu reagieren ist. Zunächst war der Brief in vielen Stellen unerträglich. Aber dann gab es auch wichtige Teile. Ich würde nicht zu einer direkten Antwort raten, aber der Präsident sollte eine bedeutende Rede halten, in der er unsere Position klar macht.

SZ: Spielt Ahmadinedschad mit dem gleichen Flaschengeist wie Bush, wenn er die Menge durch seine glaubensgetränkte Rhetorik hinter sich schart?

Albright: Ich weiß nicht, wer womit angefangen hat. Ich weiß nur, dass Religion eine Rolle spielt. So schrecklich und brutal Osama bin Laden argumentiert - er hat auch immer Dinge angesprochen, die nicht trivial sind. Wir müssen darauf in angemessener Sprache antworten.

SZ: Würden Sie mit einem Präsidenten reden, der den Holocaust leugnet und Israel vernichten will?

Albright: Man kann sich die Leute nicht immer aussuchen, mit denen man reden muss. Wir haben mit Milosevic geredet, ich war bei Kim Jong Il. Sie müssen Ihre Position klar machen.

SZ: Was wäre Ihre Priorität für eine neue Außenpolitik außer direkten Gesprächen mit Iran?

Albright: Wir müssen einen Weg aus dem Irak finden. Ich würde außerdem stärker in den israelisch-palästinensischen Konflikt eingreifen . . .

SZ: . . . und mit der Hamas reden?

Albright: Nein, das verstößt gegen das Gesetz. Aber es gibt andere Wege der Verständigung. Ich würde mehr Druck auf Sudan ausüben, direkt mit Nordkorea verhandeln. Außerdem haben wir Südamerika sträflich vernachlässigt . . .

SZ: . . . das reicht schon.

Albright: Mein Problem ist die Eindimensionalität dieser Regierung. Vielen Ländern wurde zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Deswegen müssen wir auch die Partner stärker fordern. Die Europäer müssen wirklich mehr tun.

SZ: Ist Amerikas Rolle irreparabel beschädigt nach den vergangenen Jahren?

Albright: Nein, und das sage ich nicht, weil ich Amerikanerin bin. Die amerikanische Rolle und die Macht ist entscheidend, damit das internationale System funktionieren kann.

Allerdings sind wir politisch und militärisch im Irak überdehnt, unser Ruf ist durch Guantanamo, Abu Ghraib und dem jüngsten Fall in Haditha schwer beschädigt.

Helfen würde eine neue Führung in den USA, das Eingeständnis schwerer Fehler, ein Ende des Krieges im Irak und ein ernsthafter Versuch für einen besseren Umgang mit anderen Ländern.

SZ: Jüngste Umfragen belegen, dass Amerikas Rolle als globale Führungsmacht nicht mehr akzeptiert wird. Ist der Scheitelpunkt amerikanischer Macht überschritten?

Albright: Die USA werden ihre Rolle behalten, aber es wird andere Mächte geben, die in die Gleichung aufgenommen werden müssen. Amerika wird vielleicht nicht mehr die überwältigende Supermacht sein, es wird also mehr Balance im System geben, aber die USA werden als Machtfaktor nicht verschwinden.

SZ: Hat Präsident Bush mutwillig Einfluss verspielt?

Albright: Ich möchte kritisch, aber fair mit Präsident Bush umgehen. Ich mag es nicht, wie er Amerikas Macht einsetzt. Ich glaube wirklich an die Güte der amerikanischen Macht. Es ist wichtig für die USA, stark zu sein. Nicht nur militärisch, sondern vor allem ökonomisch und politisch in Bündnissen. Unser moralisches Vorbild für Menschenrechte und religiöse Toleranz muss stark sein.

SZ: Als Außenministerin sagten Sie: "Wir sehen weiter, weil wir größer sind." Würden Sie das heute wiederholen?

Albright: Diese Regierung hat Dinge, die ich gesagt habe, in eine neue Dimension getrieben. Natürlich glaube ich, dass die USA ein außergewöhnliches Land sind. Aber ich habe niemals um Sonderregeln für uns gebeten. Natürlich sind wir größer - das ist unbestritten. Mag ich deshalb, wie die Regierung mit dieser Größe umgegangen ist? Nein.

© SZ vom 1.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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