Südkorea:Im Schatten der 12 000 Geschütze

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Entspannter Alltag in Südkoreas Hauptstadt Seoul. (Foto: Ed Jones/AFP)

Warum die Menschen im Süden der Halbinsel trotz der jüngsten Zuspitzung recht gelassen sind. Sie halten den Diktator im Norden zwar für zu jung für seinen Job, aber für rational.

Von Christoph Neidhart

Wenn Südkoreas Präsident Moon Jae-in nächste Woche Peking besucht, wird er mit Chinas Staatschef Xi Jinping auch über "die Zusammenarbeit für eine friedliche Lösung" des Konflikts um Nordkoreas Atomprogramm sprechen. Es gehe darum, wie China helfen könne, Pjöngjang "an den Verhandlungstisch zurückzubringen", sagt sein Sprecher. Für die Südkoreaner ist das ein gutes Zeichen.

In Washington wird immer offener über einen Krieg gegen Nordkorea geredet. In Seoul dagegen, wo man die Drohgebärden Pjöngjangs gewohnt ist und das Gepolter zwischen US-Präsident Donald Trump und dem nordkoreanischen Diktator Kim Jong-un nicht so ernst nimmt, gewinnt man eher den Eindruck, die Lage habe sich beruhigt. Zumal sich auch die UN um eine friedliche Lösung bemühen, Jeffrey Feltman, UN-Untergeneralsekretär für Politik, war diese Woche in Pjöngjang.

Die Südkoreaner rüsten konventionell etwas auf, lassen sich aber von den jüngsten schlechten Nachrichten kaum beunruhigen: So soll Pjöngjang kürzlich einen Sondergesandten Xis abgewiesen haben, man wisse bereits, was er sagen wolle, hieß es. US-Senator Lindsey Graham erklärte, es sei an der Zeit, die 200 000 Amerikaner, die in Südkorea leben, außer Landes zu bringen. Und Japans Premier Shinzo Abe, der einen harten Kurs fordert, ließ ein von Kanada geplantes Treffen zum Dialog mit Nordkorea vorerst platzen.

Dagegen wird in Seoul die Erklärung Nordkoreas, mit dem jüngsten Raketentest sei eine Entwicklung abgeschlossen, als Gesprächsangebot Pjöngjangs an die USA gedeutet. Nach einem Besuch in Nordkorea bestätigte der russische Duma-Abgeordnete Witalij Paschin diese Interpretation. Südkorea bemüht sich zudem weiter um eine Teilnahme Nordkoreas an den Olympischen Winterspielen im Land im Februar.

Vergangenen Sommer war in Seoul oft die Formulierung "Korea Passing" zu hören. Sie steht für die Angst, Washington könnte - womöglich in Absprache mit Peking -, über die Köpfe der Koreaner hinweg über die Zukunft der Halbinsel entscheiden. Moon hat sich allerdings von Trump versichern lassen, die USA würden das nicht tun. Da Moon weiter darauf besteht, es dürfe keine militärische Auseinandersetzung geben, könnte die Allianz zwischen Washington und Seoul an einem möglichen Präventivschlag der USA gegen Nordkorea zerbrechen. Auch Moon fordert zwar die nukleare Abrüstung Nordkoreas, aber wichtiger ist ihm, dass es nicht zum Krieg kommt. Nach Einschätzung von Brad Glosserman vom Center for Strategic and International Studies (CSIS) haben alle Parteien verstanden, dass Nordkorea jene Atomwaffen, die es schon hat, vorläufig behalten werde. Auch wenn das niemand deutlich sagt.

Im Süden gilt Kim als zu jung für seinen Job, aber als rational

Für Südkorea ändern die jüngsten Raketentests ohnehin erst mal nichts. Pjöngjang hat etwa 12 000 Artillerie-Geschütze 50 Kilometer nördlich von Seoul stehen. Seine Scud-Raketen sind seit Jahren gefechtsbereit, es verfügt über biologische und chemische Waffen. Um Seoul zu zerstören, braucht Kim keine neuen Waffen. Doch die Mehrheit der Südkoreaner glaubt nicht, dass er das will. Er gilt als zu jung für seinen Job, aber als rational.

Südkoreas Konservative haben mit einer harten Haltung gegenüber Nordkorea lange die Wahlen gewonnen. Nun aber sind sie in der Opposition. Die großen Tageszeitungen des Landes vertreten weiterhin eine harte Linie. Joongang Ilbo warf Moon jüngst "Nonchalance angesichts einer unmittelbaren Kriegsgefahr" vor und verlangte, er müsse sich für eine Seeblockade Nordkoreas einsetzen. Doch selbst dieses Hausblatt der Konservativen verortet die Gefahr, dass es zum Krieg kommen könnte, nicht in Pjöngjang, sondern in Washington.

© SZ vom 09.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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