Südamerika:Lockruf des Goldes

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Nach 300 Jahren soll ein Schiffswrack mit wertvoller Beute geborgen werden. Doch viele Staaten erheben Anspruch auf versunkene Schätze in der Karibik.

Von Boris Herrmann

Seit dem 8. Juni 1708 ruht der Schatz der Galeone San José auf dem Boden der Karibik. Gut 300 Jahre lang schien sich kaum jemand dafür zu interessieren, mal abgesehen von Florentino Ariza, der im Wrack nach Gold und Edelsteinen suchte, weil er damit das Herz einer jungen Dame erobern wollte. Aber Ariza ist eine Romanfigur von Gabriel García Márquez. Dieser Schatz, mutmaßlich einer der größten, die jemals im Meer versunken sind, existierte lange Zeit vor allem im magischen Realismus des kolumbianischen Dichters. Doch jetzt ist er wahrhaftig wieder da. Und plötzlich wollen ihn alle haben.

Kolumbiens Regierung hat angekündigt, in Kürze mit der Bergung des Wracks aus 600 Metern Tiefe zu beginnen, ein paar Seemeilen vor dem einstigen Piratennest Cartagena. Zum Beweis, dass es dort tatsächlich liegt, veröffentlichten die Behörden ein Bild, das aus 6000 Unterwasseraufnahmen zusammengepuzzelt ist. Darauf sind mit Delfinen verzierte Bronzekanonen erkennbar. Experten sind sich einig, dass sie nur von der San José stammen können.

Sie war als Flaggschiff einer spanischen Flotte mit Gold, Silber und Smaragden beladen, mit allem, was die Spanier anfangs des 18. Jahrhunderts in der Neuen Welt erbeutet hatten. König Philipp V. wartete in Madrid sehnsüchtig auf die Ladung, zur Finanzierung seines Krieges gegen die englisch-habsburgische Allianz. Ein britischer Kapitän sollte das Schiff im Auftrag Seiner Majestät entern, um die wertvolle Fracht nach London zu bringen. Doch er versenkte es versehentlich. Dabei gingen vor Cartagena auch 600 Passagiere unter. Nun streiten Kolumbianer, Spanier und weitere Interessenten wie in Kolonialzeiten darüber, wem der Schatz gehört: den Beraubten, den Räubern, den Findern oder dem Weltkulturerbe.

Erste Hinweise auf die Wiederentdeckung der San José bezeichnete Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos vor zweieinhalb Jahren als einen der "bedeutendsten Funde in der Geschichte der Menschheit". Seither macht er aber ein Staatsgeheimnis um die genauen Koordinaten. Das zeigt, wie politisch brisant der Fall ist. Laut Santos handelt es sich bei dem Wrack um kolumbianisches Nationaleigentum, es liege in staatlichen Hoheitsgewässern. 1708 gab es Kolumbien aber noch gar nicht. Auch Peru und Bolivien meldeten Ansprüche an - das Diebesgut stamme schließlich auch aus ihren heutigen Territorien. Spanien verweist wiederum auf eine Unesco-Konvention, wonach gesunkene Kriegsschiffe im Besitz ihres Herkunftslandes bleiben. Kolumbien hat dieses Abkommen allerdings nie unterzeichnet.

Ein spanischer Kompromissvorschlag, die San José einfach dort zu belassen, wo sie in Frieden ruhe, gilt in Bogotá als irrsinnig. Darüber würden sich vor allem private Schatzjäger freuen. Aber auch die Kolumbianer wollen einen Teil der Kostbarkeiten zur Refinanzierung der aufwendigen Bergung verwenden; sie planen, eine dubiose britische Firma mit Sitz in der Schweiz zu beauftragen. Dagegen protestiert die Unesco. Der Ausgang des Streits dürfte Signalwirkung haben, denn der Grund der Karibik gilt als gigantischer Schiffsfriedhof. Es werden dort noch Hunderte Galeonen und Karavellen mit Schätzen vermutet.

© SZ vom 27.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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