Studie über Rechtsextremismus:Schonungsloser Blick auf ostdeutsche Zustände

Freital Rechtsradikale gegen Antirassismus Demonstration

Bürger zeigen Flagge: Szene während einer Anti-Rassimus-Demonstration im sächsischen Freital.

(Foto: imago/Christian Ditsch)
  • Eine aktuelle Studie untersucht die Ursachen und Hintergründe von Rechtsextremismus in Ostdeutschland.
  • Die Forscher zeigen auf, welche Faktoren zur Verbreitung von Rechtsextremismus beitragen.
  • Dazu zählt unter anderem die Sozialisierung in der DDR, der Wunsch nach einer eigenen Identität sowie ein Gefühl der Benachteiligung.

Von Antonie Rietzschel, Berlin

Nein, es gehe nicht darum zu generalisieren oder zu stigmatisieren. Dieser Hinweis ist den Forschern des Göttinger Instituts für Demokratieforschung wichtig. Im Auftrag der Ostbeauftragten der Bundesregierung, Iris Gleicke, untersuchten sie die Ursachen für Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und fremdenfeindliche Übergriffe in den neuen Bundesländern. Das Thema hat in den vergangenen Jahren für eine emotionale und zuweilen völlig überhitzte Diskussion gesorgt. Sachsen wurde zum "dunkelsten Bundesland" erklärt, der Osten gilt als Hort von Neonazis. Klischees, die die Forscher explizit nicht bedienen wollen. Absolution wolle man aber auch nicht erteilen, wie es in der Studie heißt (die kompletten Ergebnisse).

Die Zahl rechtsextremer Übergriffe ist in den vergangenen Jahren deutschlandweit gestiegen. 1408 Vorfälle waren es 2015, die meisten wurden in Nordrhein-Westfalen verübt. Setzt man die Taten jedoch in Relation zur Einwohnerzahl, sticht der Osten hervor, besonders Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern. Das heißt im Umkehrschluss jedoch nicht, dass Ostdeutsche aufgrund ihrer Herkunft rechtsextremer sind als Westdeutsche. Vielmehr gibt es in den neuen Bundesländern bestimmte Faktoren, die Rechtsextremismus begünstigen. Hier setzt die Studie an.

Die Forscher konzentrierten sich auf zwei ostdeutsche Gebiete: Die Region Dresden, insbesondere Freital und Heidenau - beide Städte waren 2015 wegen rechtsextremer Proteste aufgefallen. Sowie die thüringische Landeshauptstadt Erfurt mit Schwerpunkt auf den Stadtteil Herrenberg, wo sich eine rechtsextreme Szene etabliert hat. Für die Studie wurden zwischen Mai und Dezember vergangenen Jahres 40 Einzelinterviews geführt, mit Vertretern aus Politik, Zivilgesellschaft und Wissenschaft sowie einfachen Bürgern.

Nun ist Sachsen nicht Mecklenburg-Vorpommern, Freital nicht Rostock. Die Studie ist durch die Fixierung auf zwei Regionen lokal verengt. Und doch gelingt den Forschern eine schonungslose und umfassende Analyse, auf die man sich besinnen sollte, wenn das nächste Clausnitz, Freital oder Bautzen aufpoppt. Eine Auswahl der zentralen Ergebnisse.

Politik als Spektakel, importiert aus dem Westen

So spielt besonders bei Älteren die Sozialisierung in der DDR eine wichtige Rolle. Aufgewachsen in einer geschlossenen und ziemlich homogenen Gesellschaft, machten sie kaum Erfahrungen mit Migranten. Fachkräfte aus befreundeten Staaten waren zwar willkommen, jedoch nur als Gäste und somit zeitlich begrenzt geduldet. Anders als im Westen lebten DDR-Bürger und Migranten streng voneinander getrennt.

Die Wende brachte schließlich eine ganze Reihe von Herausforderungen mit sich. Verbliebene Gastarbeiter wurden zu zusätzlichen Konkurrenten auf dem hart umkämpften Arbeitsmarkt. Die teilweise zu hohen Erwartungen an das Wohlstandsversprechen erfüllten sich nicht für jeden. Waren die Ostdeutschen ein durch den Staat organisiertes Leben gewohnt, durch politisierte Hausgemeinschaften oder betriebliche Kollektive, erlebten sie nun einen Rückzug der Politik. Zurück blieben "atomisierte Individuen", wie die Forscher in der Studie schreiben. "Diese erlebten Politik fortan als entferntes, von Westdeutschland importiertes Spektakel."

Selektive Erinnerungskultur und Wunsch nach "sauberer Identität"

Bei ihren Befragungen stellten die Forscher eine Neigung zur Romantisierung der DDR fest. Enttäuschungen und politische Probleme würden vor allem auf die Zeit nach 1989 projiziert. Misstrauen, Neid, Rassismus, rechtsextreme Übergriffe, staatliche Diskriminierung - all das spiele bei der Erinnerung an die DDR faktisch keine Rolle. Im Erfurter Stadtteil Herrenberg behauptete ein Lokalpolitiker, zu DDR-Zeiten habe es keine faschistischen Umtriebe gegeben. In Freital konnte oder wollte sich keiner der Teilnehmer an einer Gruppendiskussion an die Angriffe auf ein Wohnheim von Gastarbeitern 1991 erinnern.

Vor allem in Sachsen begegneten die Forscher dem Wunsch nach einer "kollektiven Identifikation" mit einer möglichst "positiven, moralisch sauberen, regionalen Identität". Befördert werde dies von einer sächsischen CDU und deren politischen Kultur, die das Eigene überhöht und Abwehrreflexe gegen das Fremde, Andere, Äußere kultiviere.

Gefühl der Benachteiligung

Die Betonung der eigenen Identität sehen die Forscher auch im Gefühl der Benachteiligung begründet. Die Befragungen zeigten, dass sich Menschen an den Untersuchungsorten auf verschiedenen Ebenen zurückgeworfen fühlen: Als Bewohner eines sozial schlechter gestellten Ortes. Als Deutsche gegenüber angeblich besser gestellten Migranten. Aber auch als Bewohner einer Region, die als rechtsextreme Hochburg gebrandmarkt wurde. Viele Befragte hatten der Studie zufolge das Gefühl, dass Westdeutsche Ostdeutsche geringschätzen. Vor allem seien sie aber verärgert, dass westdeutsche Journalisten und Politiker den Eindruck erwecken, Rechtsextremismus sei in den neuen Bundesländern weiter verbreitet. "Dieser Identitätskonflikt wirkt sich wiederum negativ aus auf die ohnehin defizitäre Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus", so das Fazit.

Was jetzt zu tun ist

Abschließend haben die Forscher eine ganze Reihe Handlungsempfehlungen formuliert. Zentral ist dabei eine selbstkritische Auseinandersetzung im Umgang mit der DDR-Vergangenheit und der Wende. So müssten sich Politik und Gesellschaft in Ostdeutschland danach fragen, welche, auch problematischen, Alltagsspuren die DDR in der ostdeutschen Mentalität hinterlassen hat und wie man sich dazu verhalten wolle. Politische Konflikte sollten nicht aus Angst vor Imageverlust vermieden, sondern ausgetragen werden.

Die Macher der Studie fordern neue Konzepte für eine politische Bildung, "die sich der Ambivalenzen der ostdeutschen und sächsischen Geschichte ebenso verpflichtet fühlt, wie den Erfolgsgeschichten von friedlicher Revolution und sächsischem Erfindergeist." Bei all dem empfehlen die Forscher Belehrungen aus Westdeutschland zu unterlassen. Schließlich haben auch die alten Bundesländer durchaus einen Anteil an rechtsextremen Strukturen im Osten. Diese seien womöglich undenkbar ohne den Export westdeutscher Kader.

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