Streit bei Grün-Rot in Baden-Württemberg:Hoher Druck im Stuttgarter Kessel

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Grüne und SPD in Baden-Württemberg regieren zusammen, aber anscheinend mögen sich nicht besonders: SPD-Vizeministerpräsident Nils Schmid findet es nicht so wichtig, ob es einen Bauern mehr oder weniger gibt. Im ganzen Ländle muss er sich deshalb heftige Kritik anhören - und der Koalitionspartner haut kräftig mit drauf.

Roman Deininger, Stuttgart

Seit einem guten Jahr arbeitet die grün-rote Landesregierung an der Umgestaltung Baden-Württembergs, und gerade ist sie wieder ein schönes Stück vorangekommen. Im Zuge ihrer Reformen hat sie das Sommerloch abgeschafft, die bislang traditionelle Nachrichtenflaute zur Ferienzeit.

"Dann wächst im Schwarzwald halt mal ein Tal zu": Nils Schmid, der baden-württembergische Finanz- und Wirtschaftsminister hat mit seinen Äußerungen über die Landwirtschaft Unmut ausgelöst - auch bei m grünen Koalitionspartner. (Foto: dpa)

Ersatzweise hat Grün-Rot das Sommertheater eingeführt, offenbar aus der Einsicht heraus, dass man keinen einzigen Tag verschenken sollte, den man auch sinnvoll für einen zünftigen Koalitionskrach nutzen könnte. Die Partner regieren zusammen, aber sie mögen sich nicht besonders. Klar, das Sommertheater ist kein völlig neues Konzept, es hat auch anderswo Freunde - dort freilich eher unter einfachen Abgeordneten, die sonst nicht so leicht zu Wort kommen. Im Südwesten haben sich gleich die Spitzen der Koalition als Darsteller zur Verfügung gestellt.

Die Hauptrolle übernahm kein Geringerer als Nils Schmid, der Vize-Ministerpräsident von der SPD, der allerdings ein Problem mit einfachen Abgeordneten teilt: Neben dem Grünen Winfried Kretschmann, in Doppelfunktion Regierungschef und Kultfigur, kommt er nicht so leicht zu Wort. Also hinterließ Schmid vor der Abreise in den fünfwöchigen Erholungsurlaub (Türkei) ein Interview, das inzwischen gewährleistet haben dürfte, dass die Landwirte Baden-Württembergs mit Sozialdemokraten künftig nur noch per Mistgabel kommunizieren. Finanz- und Wirtschaftsminister Schmid, 39, gilt als sehr intelligent, nicht zu verwechseln mit: sehr clever.

"Dann wächst im Schwarzwald halt mal ein Tal zu"

In dem Interview ging es um Subventionen für die Landwirtschaft, die Schmid für kürzbar hält: "Bildung und Betreuung sind wichtiger als die Frage, ob es einen Bauern mehr oder weniger gibt." Die meisten Landesbürger, erklärte Schmid, lebten heute schließlich in "semi-urbanen Verflechtungsräumen", dieser Entwicklung müsse man Rechnung tragen: "Dann wächst im Schwarzwald halt mal ein Tal zu."

In den Stunden nach Erscheinen des Interviews verabredete sich alles, was technisch zur Aussendung einer Pressemitteilung in der Lage ist, zum Sturmangriff auf den Minister. CDU-Fraktionschef Peter Hauk beklagte "völlig neben der Sache liegende, gar verletzende Zitate", die FDP erkannte eine "unglaubliche Entgleisung". Naturschutzgruppen und der Bauernverband teilten zum ersten Mal seit Menschengedenken eine Position, nämlich die, das Schmids Vorstoß "sehr schlimm" sei. Und dann bliesen - nach kurzer Prüfung des öffentlichen Meinungsbildes - auch die Grünen zur Attacke.

Landeschefin Thekla Walker, die üblicherweise schwerer zu Wort kommt als ein einfacher Abgeordneter, teilte ratlos mit: "Ich kann nicht nachvollziehen, dass sich die SPD gleich gänzlich vom ländlichen Raum und von den Themen Tourismus, Naturschutz und Landwirtschaft abwendet." Ministerpräsident Kretschmann warnte vor seinem Start in die Sonne (Griechenland) staatsmännisch: "Wir dürfen jetzt nicht den Fehler machen, Bildung gegen Landwirtschaft auszuspielen." Der grüne Agrarminister Alexander Bonde, den nicht wenige Bauern der Errichtung einer "Ökodiktatur" verdächtigen, verkündete: "Eine Schwächung des ländlichen Raums ist mit mir nicht zu machen." Ein hochrangiger Parteifreund von Bonde langte im Schutz der Anonymität noch kräftiger zu, spottete über die "wirtschaftspolitische Geisterfahrt eines schnöseligen Technokraten".

Hoher Druck im Stuttgarter Kessel

Auf dem Weg in die Badeferien (Ägypten) keilte SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel gewohnt beherzt zurück, und zwar gleich gegen den Regierungschef: Es könne nicht sein, sagte Schmiedel, dass Kretschmann eben noch unabgesprochen die Streichung von 11.600 Lehrerstellen verkünde, und dann auf einmal "seine Hand schützend" über die Landwirtschaft halte. "Grüne Erbhöfe wird es bei den anstehenden Haushaltsverhandlungen nicht geben."

Schmiedel hat damit benannt, was den Druck im Stuttgarter Kessel derzeit stetig erhöht: Bis Herbst will die Koalition festlegen, durch welche Einschnitte der Haushalt 2013/2014 konsolidiert werden soll. Bis zum Inkrafttreten der Schuldenbremse im Jahr 2020 muss ein strukturelles Defizit von drei Milliarden Euro abgebaut werden. Grüne und Rote werfen sich seit Monaten gegenseitig vor, gar nicht wirklich sparen zu wollen - und wenn doch, dann an der völlig falschen Stelle.

Was angeblich richtig ist und was falsch, hat viel mit den unterschiedlichen Strategien der Partner zu tun, auch nach 2016 noch in Regierungsfunktion zum Sommertheater beitragen zu können: Die Grünen werben in ländlichen Regionen um Wähler, die die SPD für sich längst abgeschrieben hat. Die Sozialdemokraten scheinen sich weitgehend auf Arbeiter und Angestellte konzentrieren zu wollen. Nils Schmid hat seine Formulierungsentscheidungen mittlerweile als "unglücklich" bedauert. In der Sache ist er hart geblieben.

© SZ vom 04.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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