Stereotype:Richtig problematisch

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Christian Lindner liegt falsch: Wer fremd aussieht, muss nicht die Vorurteile gegenüber Fremden ausräumen. Der FDP-Chef setzt damit doppelte Standards an Menschen mit heller und dunkler Hautfarbe. Ein Spitzen-Politiker wie er sollte bedenken, wie er formuliert.

Von Matthias Drobinski

Christian Lindner ist nun wirklich kein Ausländerfeind und Rassist; zu Recht aber steht nun der FDP-Vorsitzende im Shitstorm für die Bäckereigeschichte, die er am Sonntag auf dem Parteitag erzählt hat. Er benutzte nämlich eines dieser Alltagsstereotype, die den Leuten bisweilen herausrutschen, wenn sie über Minderheiten reden.

Der FDP-Chef sprach gegen Ende seiner Rede darüber, wie er sich Integrationspolitik vorstellt: Nein zum Ausländerhass, aber auch zum Familiennachzug für Menschen ohne dauerhaften Aufenthaltsstatus, Ja zum Zuzug qualifizierter Fachleute. Und wer nach Deutschland komme, müsse sich selber um seine Integration bemühen. Dann sagte er: "Man kann beim Bäcker in der Schlange nicht unterscheiden, wenn einer mit gebrochenem Deutsch ein Brötchen bestellt, ob das der hoch qualifizierte Entwickler künstlicher Intelligenz aus Indien ist oder ein sich eigentlich bei uns illegal aufhaltender, höchstens geduldeter Ausländer. Damit die Gesellschaft befriedet ist, müssen die anderen, die in der Reihe stehen, (...) sicher sein, dass jeder, der sich bei uns aufhält, sich legal bei uns aufhält (...), dass es keinen Zweifel an seiner Rechtschaffenheit gibt."

Damit hat Christian Lindner einen doppelten Standard gesetzt: Nur beim - offenbar indisch aussehenden - Menschen mit schlechtem Deutsch muss gewährleistet sein, dass er kein böser Mensch ist. Angenommen, es stünde einer im schicken Anzug um Brötchen an - müsste er den Mitwartenden beweisen, dass er kein Wirtschaftskrimineller ist? Natürlich nicht. Doppelte Standards gehören zu den Alltagserfahrungen von Ausländern, die eine Wohnung suchen, und von Frauen, die Chefin werden wollen; sie sind häufig diskriminierend. Bei Lindners Bäckergeschichte ist dieser Doppelstandard den Vorurteilen der anderen Wartenden geschuldet.

Christian Lindner legt an Ausländer Maßstäbe an, die er selbst nicht erfüllen kann

Dabei geht sie der Aufenthaltsstatus des vermeintlichen Inders so wenig an wie die Frage, ob der Mann im Anzug ein Betrüger ist. Beim Bäcker können die Leute erwarten, dass niemand drängelt oder ausfällig wird - und dass alle gefälligst ihre Brötchen bezahlen. Der Rest ist Sache des Staates, der Gerichte, der Polizei. Auch ein Mensch ohne legalen Aufenthaltsstatus sollte beim Bäcker nicht schief angesehen werden.

Lindner geht aber noch einen Schritt weiter: Er weist dem brötchenkaufenden Migranten die Aufgabe zu, die Vorurteile der anderen Wartenden zu widerlegen - es darf ja, so Lindner, keinen Zweifel an seiner Rechtschaffenheit geben. Da wird es nun richtig problematisch: Wer fremd aussieht, muss so wenig die Vorurteile gegenüber Fremden aus dem Weg räumen wie Frauen die Stereotype über Frauen oder Juden den Antisemitismus.

Zu Lindners Gunsten kann man annehmen, dass die Passage ihm mehr durchgerutscht ist, als dass er sie kalkuliert hat, dass er auf ein Problem hinweisen wollte, das es ja gibt: Wenn viele Migranten illegal in Deutschland leben, wachsen die Vorurteile gegen sie. Ein Spitzenpolitiker wie der FDP-Chef aber sollte bedenken, wie er formuliert. Auch das ist übrigens ein doppelter Standard, allerdings einer, der zu Recht existiert: Politiker, Journalisten, jeder Handwerker - sie nehmen für sich in Anspruch, etwas besser zu können als andere. Nur: Wer dem Anspruch nicht genügt, muss eben die Reklamation ertragen, den bösen Leserbrief, oder, im Falle des Christian Lindner: den Shitstorm.

© SZ vom 15.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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