Sigmar Gabriel:Niemals geht man so ganz

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Letzte Regierungserklärung als Bundeswirtschaftsminister: Sigmar Gabriel. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Eigentlich sollte es dieser Tage in der SPD vor allem um Martin Schulz gehen. Doch Sigmar Gabriel bleibt äußerst präsent. Das ärgert viele Genossen - und weckt bei manchen Befürchtungen für die Zukunft.

Von Christoph Hickmann, Berlin

Bevor der scheidende Wirtschaftsminister ans Rednerpult tritt, möchte Norbert Lammert ihm noch etwas sagen. Er wolle "seinen Respekt zum Ausdruck bringen", sagt der Bundestagspräsident - für Sigmar Gabriels Entscheidung, auf Kanzlerkandidatur und SPD-Vorsitz zu verzichten. "Das kann Ihnen nicht ganz leicht gefallen sein", fügt Lammert hinzu, weshalb er Gabriel "ausdrücklich zu der Souveränität gratulieren" wolle. Da lächelt und nickt auch die Bundeskanzlerin kurz.

Dann ist Gabriel dran, der hier am Donnerstagmorgen im Bundestag seine letzte Regierungserklärung als Wirtschaftsminister abgeben will. Bevor er damit beginnt, sagt er zu Lammert: "Ich geb' zu, dass mich das eben berührt hat." Dann allerdings ist er schon wieder ganz der Alte und scherzt über den Applaus aus den Reihen der Abgeordneten: Es sei "irritierend, wie viele klatschen, wenn man zurücktritt". Und: "Eine gewisse Erleichterung ist auch zu spüren - auf beiden Seiten."

So ist das dieser Tage mit Sigmar Gabriel: Er hat den Weg freigemacht, doch er ist immer noch ziemlich präsent - und zwar nicht nur an diesem Morgen im Bundestag, sondern vor allem medial. Neben dem Stern, dem er seinen Rücktritt vor den Parteifreunden anvertraut hatte, hat er auch mit der Zeit mehrere Monate lang über seine Verzichtsgedanken geredet, weshalb das Blatt am Donnerstag nicht etwa mit einer Geschichte über den Kanzlerkandidaten Martin Schulz erscheint, sondern sich noch einmal breit mit Gabriel befasst. Und Gabriel wird ja auch nach dieser Woche des Umbruchs nicht weg, sondern weiter in der ersten Reihe der Politik vertreten sein: An diesem Freitag soll er als neuer Außenminister die Nachfolge des wohl künftigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier antreten. All das zusammen erzeugt Unruhe und Argwohn in einer SPD, die doch eigentlich nach vorn blicken will.

So groß die Erleichterung über Gabriels Abgang ist, so deutlich wahrnehmbar ist der Ärger über die Art und Weise. Besonders deutlich war dieser Ärger in den vergangenen Tagen SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann anzumerken, der Gabriel intern wie extern mehrfach für seine Interviews kritisierte und sich mit ihm vor der Fraktionssitzung am Mittwoch ein kleines Wortgefecht vor laufender Kamera lieferte, eingefangen und wiedergegeben vom ZDF. Bereits am Dienstagabend, im Kreis der engsten Parteiführung, hatte es teils deutliche Kritik an Gabriels Kommunikationsstrategie gegeben, vorgetragen etwa von SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel.

Gabriel könnte weiter eine starke Rolle spielen. Etwa, wenn über eine Koalition verhandelt wird

Doch derlei Stilfragen dürften nach den ersten aufgeregten Tagen recht schnell in den Hintergrund rücken. Von weitaus größerer Bedeutung ist die Frage, die derzeit viele in der Partei stellen - wenn auch nicht öffentlich, um nicht die neue Schulz-Euphorie zu stören: Welche Rolle wird ein Außenminister Gabriel in den nächsten Monaten im Wahlkampf spielen? Eine "dienende Rolle", wie der genervte Fraktionschef Oppermann gleich klarzustellen versuchte? Die Zweifel daran sind unter Sozialdemokraten in Berlin weit verbreitet. Zwar zollen viele Gabriel Respekt für seinen Schritt, zudem ist bekannt, dass ihn mit dem Kandidaten Schulz eine Freundschaft verbindet. Doch noch immer ist in der SPD die Erinnerung an den Wahlkampf 2013 ziemlich präsent, als Gabriel dem damaligen Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück kräftig dazwischenfunkte, mit Worten wie mit Taten. Allerdings war er da auch noch Parteichef, also mit einem ganz anderen Einfluss ausgestattet als dieses Mal, da Schulz ja neben der Kandidatur auch den SPD-Vorsitz übernehmen soll.

Doch was ist eigentlich nach der Wahl? Auch das fragen sich derzeit manche Gabriel-Skeptiker. Ihre Befürchtung: Er könnte dann weiter eine starke Rolle spielen - etwa wenn es darum gehen sollte, über eine Koalition zu verhandeln. Da könnte seine Erfahrung plötzlich wieder gefragt sein. Und was wäre, wenn Schulz ein schwaches Wahlergebnis einfahren und als Parteivorsitzender ein Intermezzo bleiben sollte?

In der Zeit, der Gabriel viel Einblick gewährt hat, heißt es über sein neues Amt: "Bei einer Fortsetzung der großen Koalition oder gar einer SPD-geführten Regierung würde er das bleiben wollen." Also Außenminister. Doch allein dass Gabriel offenbar jetzt schon wieder über eine große Koalition spricht, könnte man als ersten Hinweis darauf werten, dass er es Martin Schulz nicht immer einfach machen wird.

© SZ vom 27.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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