Sieben Jahre Haft für Timoschenko:EU droht Ukraine mit "ernsten Folgen"

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Ein erst 31-jähriger Amtsrichter verurteilt Julia Timoschenko wegen angeblichen Amtsmissbrauchs zu sieben Jahren Gefängnis. Drei Stunden dauert die Urteilsverkündigung, immer wieder unterbricht sie die ukrainische Oppositionsführerin, ruft: "Ruhm der Ukraine!". Am Ende quittiert ein Teil des Publikums im Saal das Urteil mit Buhrufen. Die EU ist entsetzt.

Thomas Urban, Kiew

Die ukrainische Oppositionsführerin und frühere Premierministerin Julia Timoschenko soll wegen angeblichen Machtmissbrauchs für sieben Jahre ins Gefängnis. Das Kiewer Bezirksgericht befand, sie habe dem Staat einen Schaden von umgerechnet 135 Millionen Euro zugefügt, als sie vor zwei Jahren einen angeblich nachteiligen Vertrag über die Lieferungen von Erdgas mit ihrem russischen Amtskollegen Wladimir Putin ausgehandelt habe. Der erst 31 Jahre alte Amtsrichter Rodion Kirejew befand, sie sei in allen Anklagepunkten schuldig. In dem Strafmaß, das ein Teil des Publikums mit Buhrufen quittierte, entsprach er dem Antrag der Staatsanwaltschaft.

Die Angeklagte hörte sich die drei Stunden währende Verlesung des Urteil sitzend an, auch ihre Tochter und ihr Mann, die sie im Gerichtssaal begleiteten, blieben sitzen. Julia Timoschenko war blass und wirkte müde, sie befand sich seit Anfang August wegen angeblicher Missachtung des Gerichtes in Untersuchungshaft. Während Kirejew mit monotoner Stimme stundenlang Millionenrechnungen mit Kubikmetern und ukrainischen Hrywna, der Landeswährung, anführte, unterhielt sich die Angeklagte mehrmals kurz mit ihrer Tochter und las Nachrichten aus dem Internet auf einem iPad.

Zweimal stand sie während des Vortrags Kirejews auf und sprach an das Publikum gewandt, sie werde von einem Richter verurteilt, der dem diktatorisch regierenden Präsidenten Viktor Janukowitsch hörig sei. Sie rief alle Menschen "guten Willens" auf, die Demokratie in der Ukraine zu verteidigen, sie sei überzeugt, dass das autoritäre Regime "in nächster Zeit" überwunden werden könne. Sie beendete ihre jeweils etwa zwei Minuten dauernden Ansprachen mit dem Ausruf "Ruhm der Ukraine!". Der offenkundig ratlose Richter versuchte dabei, sie durch noch lauteres Verlesen der Urteilsbegründung zu übertönen.

Timoschenko hatte ebenso wie ihr Verteidiger vor zwei Wochen in ihrem Schlussplädoyer auf unschuldig plädiert. Die Staatsanwaltschaft habe keinerlei Beweis für den Vorwurf erbracht, sie hätte auch niedrigere Preise für russisches Erdgas aushandeln können. Anfang 2009 hatte der russische Monopolist Gazprom die über die Ukraine in die EU-Staaten führenden Pipelines blockiert, in mehreren Bezirken Bulgariens und der Slowakei brach vorübergehend die Energieversorgung zusammen. Als Timoschenko wenige Tage später nach ihrer Rückkehr aus Moskau den ihr nun zur Last gelegten Vertrag präsentierte, wurde sie vor allem von den Staats- und Regierungschefs der EU dafür gefeiert, dass sie dank ihrer Kompromissbereitschaft den russisch-ukrainischen Gaskrieg beendet habe.

Ein Antrag der Opposition, den aus Sowjetzeiten stammenden Artikel 365, nach dem die Staatsanwaltschaft über gutes und schlechtes Regieren befinden kann, ersatzlos abzuschaffen, fand in der vergangenen Woche keine Mehrheit bei den hinter Janukowitsch stehenden Regierungsparteien. Timoschenkos früherer Kampfgefährte bei der Orangefarbenen Revolution vor sieben Jahren, der zwischenzeitliche Präsident Viktor Juschtschenko, erklärte, er habe an der Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens keinen Zweifel. In dem Prozess war er gegen Timoschenko als Zeuge aufgetreten.

Mehrere Hundertschaften der Sonderpolizei hatten schon am Vorabend der Urteilsverkündigung in der Kiewer Innenstadt Posten bezogen. Die ukrainische Führung wollte von Anfang an eine Massendemonstration für Timoschenko verhindern, die Straßen um das Kiewer Bezirksgericht waren abgesperrt. Nur handverlesene Besucher wurden in das Gerichtsgebäude eingelassen. Mehrere tausend Anhänger Timoschenkos wurden am Dienstagvormittag in Seitenstraßen abgedrängt. Die Polizei trennte sie von etwa 1000 Gegendemonstranten, die am Vortag aus der Ostukraine, der Hochburg Janukowitschs, herangebracht worden waren.

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Sie war die Ikone der Orangefarbenen Revolution: Julia Timoschenko verdiente in der Energiebranche Millionen, legte sich mit dem Kreml an, kämpfte gegen Oligarchen und war zwei Mal Premierministerin. Nun soll sie zum Entsetzen ihrer vielen Anhänger jahrelang ins Gefängnis.

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Schon kurz nach dem Urteil drohte die EU der Ukraine mit weitreichenden Konsequenzen. Die EU werde ihre Politik gegenüber dem Land überdenken, dazu gehöre auch der Abschluss des Assoziierungsabkommens, sagte die Sprecherin der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton in Brüssel.

Julia Timoschenko umarmt nach der Urteilsverkündigung ihren Mann: Drei Stunden dauert es, bis klar war: Sie wird zu sieben Jahren Haft verurteilt. (Foto: REUTERS)

Der Prozess gegen Timoschenko habe nicht internationalen Standards entsprochen. "Die EU ruft die ukrainischen Behörden auf, einen fairen und transparenten Prozess sicherzustellen, falls es eine Berufung geben sollte (...)", sagte die Sprecherin.

Das Assoziierungsabkommen, das die Ukraine näher an die EU führen soll und auch einen Freihandelsteil hat, wird nach früheren Planungen Ende des Jahres abgeschlossen werden. Es muss dann noch von allen EU-Staaten und der Ukraine ratifiziert werden. Bei den EU-Außenministern war bereits am Montag in Luxemburg deutlich geworden, dass das Abkommen bei einer Timoschenko-Verurteilung gefährdet ist.

Entsprechend scharf kritisierte auch Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) die Verurteilung Timoschenkos. Das Urteil werfe "ein sehr negatives Schlaglicht auf die Rechtsstaatlichkeit in der Ukraine", erklärte Westerwelle in Berlin. Dies könne "nicht ohne Folgen für unsere und die EU-Beziehungen mit der Ukraine bleiben".

Es werde nun sehr aufmerksam beobachtet, wie in Kiew weiter "mit dem Fall Timoschenko und denen anderer ehemaliger Regierungsmitglieder umgegangen wird", erklärte der Minister. Er erwarte von der politischen Führung in der Ukraine "ein Bekenntnis zu Demokratie und Rechtsstaat".

Das russische Außenministerium kritisierte das Urteil ebenfalls. Es habe einen "eindeutig anti-russischen Charakter", erklärte ein Sprecher in Moskau. Timoschenko sei verurteilt worden, obwohl der von ihr geschlossene Gasvertrag im Einklang mit der "russischen, der ukrainischen und der internationalen Gesetzgebung" stehe.

Sogar der amtierende Boxweltmeister Vitali Klitschko meldete sich zu Wort. Für den Ukrainer beweist der Prozess, dass Gerichte und Justiz in seinem Land nicht unabhängig sind. Klitschko ist in seiner Heimat selbst als Politiker aktiv. Auf der Internetseite seiner Partei, der Ukrainischen Demokratischen Allianz für Reformen (UDAR), kritisierte er das Urteil: Die Führung in Kiew begehe damit "politischen Selbstmord", sagte Klitschko.

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