Sicherheit:Europas unbekannte Beschützer

Eine Marineärztin rettet Flüchtlinge aus dem Mittelmeer, ein Sozialarbeiter bewahrt junge Menschen vor Radikalisierung: Es sind nicht nur Soldaten und Polizisten, die täglich dafür sorgen, dass das Leben in Europa für alle Menschen sicher ist.

Gemeinsam mit ihren europäischen Partnerzeitungen stellt die Süddeutsche Zeitung Menschen vor, die täglich dafür sorgen, dass das Leben in Europa für alle Bürger sicher ist.

Dialog der Schwerhörigen

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(Foto: Fot. Maciej ÅöwierczyÅ"ski / Age)

Sławomir Dębski vermittelt zwischen Polen und Russen Sławomir Dębski hat eine wichtige Aufgabe zu meistern. Er ist Direktor des Zentrums für polnisch-russischen Dialog und Verständigung, und er sagt, dieser Dialog sei derzeit "schwierig". Das Zentrum ist ein Kind der Entspannung zwischen Polen und Russland in den Jahren 2009 und 2010, die beide Seiten offenkundig längst vergessen haben. Damals einigte man sich darauf, dass 2015 in Polen das "Jahr der russischen Kultur" und in Russland das "Jahr der polnischen Kultur" sein werde. Ein Dialog schien also möglich zu sein. Heute aber steht Polen im Konflikt um Krim und Donbass fest an der Seite der Ukraine, Polens Führung nennt die Politik Moskaus unverblümt "staatlichen Terrorismus". Im Kreml sieht man Polen wieder als antirussisch an - das Dialogzentrum wirkt wie eine extravagante Laune. "Wir fühlen uns wie auf einer Insel. Ein Teil der polnischen Politiker und Publizisten bezeichnet uns als 'russische Einflussagenten', in Russland dagegen nehmen uns einige langjährige Gesprächspartner nun als 'polnische Agentur' wahr", sagt Dębski. Jede Art von Kritik an Präsident Wladimir Putin werde als "russophob" zurückgewiesen, manchmal sogar als "faschistisch". Das Zentrum führt weiterhin Forschungsprojekte durch. Nach Polen kommen russische Wissenschaftlicher, Künstler, Spezialisten. In Warschau findet das dem russischen Film gewidmete Kinofestival "Sputnik" statt, in Russland gibt es immer noch ein Festival mit Liedern der polnischen Sängerin Anna German. Am polnisch-russischen Jugendaustausch nahmen im vorigen Jahr tausend Menschen beider Länder teil. Doch immer öfter sagen russische Forscher Reisen mit der Begründung ab, dass sie "dazu derzeit keine Zeit" hätten. Und Eltern polnischer Jugendlicher fragen, ob ihren Kindern in Russland nicht Gefahren drohten. Der Dialog sieht eher aus wie zwei Monologe. "Solange die Russen am Gespräch interessiert sind, werden wir mit ihnen reden", sagt Dębski. Es sei ein Wert an sich, dass es in beiden Ländern eine Institution gibt, die sich mit dem Nachbarn befasst und auch Haushaltsmittel erhält. Derzeit werden wieder Anmeldungen für einen Jugendaustausch gesammelt. Man ist gespannt auf die Teilnehmerzahl.

Weihnachten auf See

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(Foto: N/A)

Marineärztin Serena Petricciuolo rettet Flüchtlinge "Ich weiß, ich riskiere, banal zu klingen, aber es waren die schönsten Weihnachtstage meines Lebens. Heiligabend habe ich auf See verbracht, auf der Krankenstation. Dort habe ich einer Frau aus Nigeria, die wir gerade von einem Flüchtlingsboot gerettet hatten, bei der Geburt geholfen. Am Morgen des 27., an Deck der Etna, auf der ich Schiffsärztin bin, war ich Patin bei der Taufe des kleinen Testimony Salvatore. Und am Abend des 31. habe ich auf der Krankenstation den italienischen Staatspräsidenten gehört, der in der Neujahrsansprache völlig unerwartet meinen Namen nannte als eins der 'großartigen Beispiele', die Italien der Welt geben kann. Mir kam ein Kloß im Hals. Ich heiße Serena Petricciuolo, bin 30, seit 2003 trage ich die Uniform der Militärmarine. Ich bin Leutnant zur See und Ärztin. Und eine glückliche Frau: Medizin und Marine waren meine Träume, beide habe ich erreicht. Im November 2013 habe ich mit der Etna Afrika umfahren, eine besondere Erfahrung: Wir haben eine Menge Häfen angelaufen, hatten jeden Tag Hunderte Kinder zum Behandeln an Bord. Dann war ich in der Mission 'Mare Nostrum" und habe täglich Hunderte Flüchtlinge untersucht und behandelt. Es waren überwältigende Tage, menschlich wie fachlich. Aber nichts ist vergleichbar mit dem, was ich im Dezember erlebt habe. Wir waren den ganzen Monat im Kanal von Sizilien. Ich habe etwa 1500 Flüchtlinge untersucht, Schwangeren geholfen, die auf den Booten Verbrennungen erlitten hatten, vor Kälte starren Kindern, Männern mit offenen Brüchen, Kranken mit Infektionen aller Art. Nach 15 Tagen auf See hatte ich die erste Geburt. Eine sehr junge Frau, Syrerin glaube ich, ihr erstes Kind, sie war völlig verängstigt. Mit den Augen flehte sie um Hilfe, keine leichte Geburt. Die zweite, die mir die Ehre brachte, vom Staatspräsidenten erwähnt zu werden, war dagegen ein Spaziergang. Die etwa 30-jährige Nigerianerin hielt ihren 18-monatigen Sohn, ein Springteufelchen, eng an sich. Als sie begriff, dass sie in Sicherheit war und ich Ärztin, lächelte sie und überließ sich mir völlig. Eine Stunde später hatte ich ein Neugeborenes im Arm, die Mutter wiegte ihr anderes Kind. Es war Weihnachten im wahren Sinn."

Leben mit dem Restrisiko

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(Foto: Robert Haas)

Polizeidirektor Jürgen Vanselow schützt Münchens Hauptbahnhof "Schätzungen zufolge halten sich täglich etwa 350 000 Menschen am Münchner Hauptbahnhof auf, zu Zeiten des Oktoberfestes gut eine halbe Million. Natürlich gelten große Bahnhöfe nach terroristischen Angriffen wie in Paris als Gefahrenpunkte, aber ich fühle mich hier absolut sicher. Man kann einen Bahnhof nicht einfach absperren und zum Stillstand bringen. Wir sorgen für das Höchstmaß an Sicherheit, und mit dem Restrisiko muss man leben. Unsere Inspektion mit 300 Beamten ist direkt am Hauptbahnhof untergebracht. Hier sind 55 Überwachungskameras installiert, die helfen uns bei der Aufklärung von Gewalttaten. Uns beschäftigen am Hauptbahnhof hauptsächlich tätliche Angriffe von Betrunkenen und Widerstandshandlungen. Seit vergangenem Jahr kommen bei uns zudem durchschnittlich etwa 850 Flüchtlinge pro Monat an, das bindet sehr viel Arbeit. Und seit einigen Wochen finden jeden Montag Bagida- und Mügida-Demonstrationen statt, dazu fängt jetzt auch die Fußballsaison wieder an. Wenn unsere Inspektion nicht so jung wäre, das Durchschnittsalter liegt bei 34, könnten die Beamten das Arbeitstempo und den Druck gar nicht aushalten. Bei Großlagen wie der Sicherheitskonferenz oder dem G-7-Gipfel setzen wir auf Manpower, Technik und Kooperation. In der heißen Phase des G-7-Treffens werden hier etwa 600 Beamte im Einsatz sein. Natürlich sind meine Leute jetzt stärker sensibilisiert, nach Paris ist das Einsatzkonzept etwas abgewandelt, Details kann ich aber nicht verraten. Nur: Im Ernstfall wissen meine Leute ganz genau, was zu tun ist. Und mit dem Bundeskriminalamt, dem Verfassungsschutz und anderen Diensten können wir uns auf ein gutes Informationsnetz verlassen. Ich bin seit 2008 hier am Hauptbahnhof Chef, aber eine echte Bombe hatten wir noch nie. In Erinnerung geblieben ist mir die teilweise Sperrung des Hauptbahnhofs nach Drohvideos und Terrorwarnungen aus Berlin im Jahr 2010. Da gingen wir mit Maschinenpistolen auf Streife. Das hat uns natürlich bewegt. Aber derzeit gibt es keinerlei vergleichbare Warnungen, die Sicherheitskonferenz ist für uns ein bekanntes Phänomen. Und ich sage immer: Autofahren ist gefährlicher."

Prediger des Friedens

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(Foto: N/A)

Laarbi Mateeis redet gegen den Heiligen Krieg an Laarbi Mateeis bekämpft den Dschihad mit Worten, obwohl das in seiner Umgebung und seiner Position schwierig ist. Der 51-Jährige ist Vorsitzender der Bewegung Tabligt Jammaat, einer Kongregation zur Förderung des Islam in der spanischen Exklave Ceuta in Nordafrika. Tabligt Jammaat ist die größte Strömung innerhalb der muslimischen Gemeinde der 85 000-Einwohner-Stadt, sie kontrolliert 32 Moscheen. Es ist eine rigorose Strömung, die Frieden predigt, die jedoch von den Geheimdiensten Europas mit Argwohn beobachtet wird. Der spanische Geheimdienst CNI ordnet die Gruppe als Sekte ein. "Man hat mich in einem Kaffeehaus ausgepfiffen, weil ich dort Botschaften des Friedens und gegen den Dschihad ausgesprochen habe", berichtet Laarbi Mateeis. Das sei ein "sehr aufgeheizter Moment" gewesen. "Wenn diese Leute ein Massaker an Palästinensern im Fernsehen gesehen haben, ist es sehr schwierig, sie für den Frieden zu gewinnen, aber ich habe den Kopf hingehalten und habe es versucht", berichtet Laarbi Mateeis. Seiner Meinung nach verwandelt sich ein Muslim, der am Heiligen krieg teilnimmt und nicht von den Weisen beraten lässt, in einen Kriminellen, ohne es zu wissen. Etwa zehn junge Menschen aus Ceuta haben diesen Weg gewählt und sind nach Syrien gereist. Die falschen Gelehrten, das arabische Fernsehen, die sozialen Netzwerke sind für Laarbi Mateeis die Einflüsse, welche die Jugendlichen dazu bringen, den sicheren Tod im angeblich Heiligen Krieg zu suchen. "In ein fernes Land gehen, um für den Dschihad zu sterben, ist eine Dummheit", sagt der Funktionär. Doch wer drei Nachrichtensendungen der arabischen Kanäle hintereinander gesehen habe, in dem sei schon der Samen der Fanatisierung gesetzt. "Wenn du nur Schüsse, Bomben und Krieg siehst, füllt sich dein Herz mit Zorn." Mateeis glaubt, dass seine Botschaften bei einigen Jugendlichen verfangen habe. "Wir haben es geschafft, dass der eine oder andere doch nicht nach Syrien gereist ist." Der verheiratete Familienvater dreier Töchter sagt: "Ich betone immer, dass man den Dschihad am besten zu Hause führt, indem man den Eltern hilft und für die Familie da ist." Das sei das wahre Opfer, alles andere sei eine Lüge.

So leicht wie Händewaschen

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(Foto: N/A)

Guillaume Poupard sorgt für Sicherheit im virtuellen Raum Er ist der "Monsieur Computer-Sicherheit" des französischen Staates: Guillaume Poupard, 43, hat vor knapp einem Jahr die Spitze der Anssi übernommen, der Agence nationale de la sécurité des systèmes d'information (Nationale Agentur für die Sicherheit der Informationssysteme). Die Anssi sorgt für den Schutz des Staates, der Verwaltung sowie einiger "Betreiber von lebenswichtiger Bedeutung" - also großer Infrastruktur- Unternehmen. Die Liste mit letzteren ist vertraulich. In der Agentur arbeiten 400 Menschen, Informatiker, Ausbilder und Ermittler, die in Ministerien und Firmen Kurse über den sicheren Umgang mit dem Mobiltelefon geben oder bei Verdacht auf Hacker einschreiten. Für Poupard war es nur natürlich, an die Spitze einer solchen Agentur zu treten. Er begeistert sich für "Mathematik zur Lösung konkreter Probleme", und er hat bei Jacques Stern promoviert, dem Vater der modernen französischen Informationssicherheit. Poupards Credo lautet, Entwicklungen vorherzusehen. "Bei größeren Krisen muss man einen Plan haben - so kann man schnell reagieren und die Konsequenzen begrenzen", sagt er. Sein Vorgänger hat solche "größeren Krisen" erlebt. 2011 zum Beispiel, als die Anssi am Wochenende zu einem Noteinsatz im Wirtschafts- und Finanzministerium ausrücken musste. Damals war es Hackern gelungen, ins Computersystem des Ministeriums einzudringen. Bis heute ist unklar, wer dahintersteckte, auch wenn vieles auf Peking hindeutet. Poupard findet, Sicherheit gehe alle an, von der Spitze des Staates bis zum einfachen Bürger, vom Vorstandsvorsitzenden bis zum Angestellten. "Wenn ein Minister oder Vorstandschef elementare Sicherheitsregeln vernachlässigt, geraten ein ganzes Ministerium oder eine Firma in Gefahr." Der Anssi-Chef hofft, dass die Ratschläge, die seine Agentur gibt, verbreitet werden. Sich vor Datenpiraterie zu schützen, sei so, wie die Hände zu waschen, um keine Grippe zu bekommen: "Es ist nicht unbeding sehr kompliziert, aber man muss es tun." Die Europäer fordert er auf, bei der Computersicherheit zusammenzuarbeiten, auch wenn man auf diesem Feld eher von Verbündeten als von Freunden sprechen könne. Im Bereich nationaler Sicherheit lasse sich nicht alles Wissen teilen.

Mächtige Botschaften

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(Foto: N/A)

Sulaimaan Samuel bewahrt junge Menschen vor der Radikalisierung Sulaimaan Samuel ist Mentor bei Channel, dem Anti-Extremismus-Programm des britischen Innenministeriums. Er kümmert sich um junge Leute in der Region West Midlands, bei denen die Behörden von einer islamischen Radikalisierungsgefahr ausgehen. "Zu Beginn treffe ich die Betreuer der Jugendlichen und bespreche mit ihnen den jeweiligen Fall, dann treffe ich sie selbst", erzählt er. "Die Treffen finden normalerweise einmal pro Woche statt, manchmal öfter. Zum Teil dauern sie bis zu zwei Stunden. Die Treffen müssen nicht in einer förmlichen Umgebung stattfinden, es kann überall sein. Bei einigen der von mir betreuten Jugendlichen habe ich festgestellt, dass das Umfeld, in dem sie sich bewegen, nicht unbedingt förderlich ist für die Art von Einstellung, die ich bei ihnen wecken möchte." In einem Sommer, so sagt Samuel, habe er "mit einem Mann wirklich lange Spaziergänge gemacht, manchmal in Parks, wo sich Familien und andere Leute aufhielten. Ich wollte ihm zeigen, wie die übrige Gesellschaft ihr Leben lebt und dass das Leben größer und überwältigender sein kann als sein Haus, seine Straße, ein paar Freunde, ein Computer, an dem er Stunden verbringt. Man sollte diese Menschen nicht als potenzielle Terroristen sehen. Es sind verletzliche Jugendliche, die oft isoliert leben und schwierige Hintergründe haben. Früher haben die Leute Extremismus als etwas zu 100 Prozent Kriminelles verstanden, also auch die beteiligten Menschen als Kriminelle gesehen. Diese Leute gibt es tatsächlich, manche von ihnen versuchen, andere in ihre Denkweise hineinzuziehen. Aber es gibt auch Opfer, ganz normale Bürger, die in den Internet-Hype hineingeraten. Das sind Menschen, die von den Botschaften verführt werden. Diese Botschaften sind mächtig, sehr leidenschaftlich. Sie wirken wie aus einer echten Besorgnis heraus entstanden, und für diese Menschen gibt es dann keine anderen Stimmen mehr. Es gilt dann nur noch: Wir gegen die. Und: Wir müssen zusammenhalten."

© SZ vom 05.02.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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