Selbstmorde in Guantanamo:Tod im Lager der Schande

Der Insasse Guantanamos ist ein Mensch ohne Recht. Drei der Häftlinge wählten den letzten Ausweg. Wo Pietät angemessen wäre, reagiert das US-Militär mit Häme.

Nicolas Richter

Viele der Gefangenen in Guantanamo wissen nicht, warum die Amerikaner sie dort eingesperrt haben. Und wann sie wieder freikommen, können sie noch nicht mal ahnen. Ist schon die Hälfte vorbei, oder dauert es noch dreißig, vierzig Jahre? Sie haben keinen Einfluss darauf. Jeden Weg nach draußen hat die amerikanische Regierung zugemauert.

Der Insasse Guantanamos ist ein Mensch ohne Recht. Er wird nicht angeklagt, er steht nicht vor Gericht. Wer das vorletzte Mittel aller Rechtlosen wählt, den Hungerstreik, der wird zwangsernährt. Nun haben drei Häftlinge den letzten Ausweg genommen, den Tod. Weil es im Diesseits kein Entkommen gibt aus Guantanamo, haben sie sich erhängt.

Wo Pietät angemessen wäre, reagiert das US-Militär mit Häme: "Sie achten das Leben nicht, weder unseres, noch ihr eigenes. Das war kein Akt der Verzweiflung, sondern asymmetrische Kriegsführung gegen uns", erklärte ein General, noch bevor die Todesumstände geklärt waren. Gerade in ihrer Ungeheuerlichkeit gibt diese Aussage eben jene Paranoia wider, die das System Guantanamo erst geschaffen hat. Amerika wittert seit dem 11.September überall Feinde.

Hunderte von ihnen, die gefährlichsten angeblich, sitzen in Guantanamo, vom Gemüsebauern bis zum Geschäftsmann. Sie werden nicht wie Individuen behandelt, also nach jeweils eigener Tat oder Schuld, sondern wie mechanische Sprengfallen, die man im Waffenschrank wegschließt.

Tod im Lager der Schande

Sogar der Selbstmord mit dem Strick (nicht mit dem Sprengstoffgürtel) soll zum Krieg gegen Amerika gehören. Es kann sein, dass die drei Männer in der Hoffnung starben, sie würden ihren Mitgefangenen helfen. Selbst wenn es so wäre: Wer sollte ihnen das verübeln, wo es doch sonst keine Türen mehr gibt in dem Verlies.

Das US-Militär hat bereits Dutzende Selbstmorde und noch mehr Hungerstreiks verhindert. Das waren keine Zeugnisse der Nächstenliebe, sie dienten dem Schutz des eigenen Systems. Längst sieht alle Welt Guantanamo als Schande für die USA. Das Lager hat womöglich mehr Terroristen erzeugt als es verhindert hat. Die politischen Folgen wären unkalkulierbar, wenn sich von jetzt an alle paar Wochen zwei bis drei Gefangene das Leben nähmen. Der Druck auf die US-Regierung wäre unermesslich.

Theoretisch haben die Verantwortlichen im Weißen Haus durchaus die Möglichkeit, sich aus dieser Lage zu befreien: Indem sie die Verdächtigen vor ordentliche Gerichte stellen, die Unschuldigen freilassen und Guantanamo schließen. Doch mit so viel Vernunft ist auch fast fünf Jahre nach dem 11.September nicht zu rechnen.

Bushs Leute sind derart gefangen in ihrer Anti-Terror-Ideologie, dass sie selbst nicht mehr zum Ausbruch fähig sind. Also können die Gefangenen nur noch auf die US-Wähler hoffen. Die können ihr Land von der Zwangsvorstellung befreien, wonach der "Krieg gegen den Terror" auch ein Krieg gegen die Menschenwürde ist.

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