Schweiz:Volkes Wille, Schweizer Dilemma

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Der Nationalrat muss über die Zuwanderungsbegrenzug entscheiden. Die ist eigentlich längst beschlossene Sache. Nur umsetzen lässt sie sich kaum. Denn damit würde das Land riskieren, in wirtschaftliche Schwierigkeiten zu geraten.

Von Charlotte Theile, Zürich

Im Schweizer Nationalrat wird derzeit einiges entschieden. Die Abgeordneten kommen drei Wochen lang zusammen, um über Kampfhunde, Krankenkassenbeiträge und die Tatsache, dass im Armee-Budget einige hundert Millionen Franken mehr zur Verfügung stehen, als eigentlich benötigt werden, zu beraten. An diesem Mittwoch wurde es besonders interessant. "Showdown" nannten es die Schweizer Medien, nicht zu Unrecht. Seit die Bürger im Februar 2014 entschieden haben, die Zuwanderung mit Kontingenten beschränken zu wollen, bemühen sich Regierung und Parlament um eine Lösung. Das Dilemma: Die Zuwanderungsbegrenzung steht im Widerspruch zur Personenfreizügigkeit, die die Schweiz mit der EU vereinbart hat und an die weitere Verträge gekoppelt sind. Setzt man den Volksentscheid um, riskiert man also unschöne wirtschaftliche Folgen. Setzt man ihn nicht um, verärgert man die Bürger - und vermutlich nicht nur die 50,3 Prozent, die der Initiative im Frühjahr 2014 zustimmten.

Konkrete Vorschläge gab es daher lange nicht. Nun allerdings wird die Zeit knapp. Der Entscheid muss bis Februar 2017 umgesetzt sein. Seit Anfang September liegt ein ausgearbeiteter Vorschlag auf dem Tisch, ein "Inländervorrang light", der die Verträge mit der EU wohl nicht verletzen würde. Dabei geht es um eine Meldepflicht für offene Stellen, die Einheimischen bei der Bewerbung einen kleinen Vorsprung geben würde. Zunächst konnten sich alle Parteien außer der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) auf den Vorschlag einigen. An diesem Mittwoch wurde klar: Der sanfte Inländervorrang geht einigen Abgeordneten doch nicht weit genug. Die Christdemokraten schlugen in der auf sieben Stunden angesetzten Debatte vor, die Regelung zu verschärfen. Die Abgeordneten der SVP verlegten sich darauf, wieder und wieder den 2014 beschlossenen Verfassungsartikel vorzulesen und den wirtschaftsliberalen Politiker Kurt Fluri (FDP), der den sanften Inländervorrang erdacht hatte, als "Totengräber der direkten Demokratie" zu beschimpfen, weil er den Artikel nun nicht wortgetreu umsetzen wolle. Auch die zuständige Justizministerin Simonetta Sommaruga räumte ein, dass der Volksentscheid wohl nur "mit Abstrichen" umgesetzt werden könne. Am Abend passierte der "Inländervorrang light" den Nationalrat mit 126:67 Stimmen.

Im Winter wird sich jetzt noch der Ständerat mit dem Vorschlag beschäftigen.

© SZ vom 22.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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