Schweiz:"Verschärfter Inländervorrang"

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Schweizer Politiker umkreisen seit mehr als zwei Jahren das gleiche Problem: Die von der Bevölkerung beschlossene Zuwanderungssteuerung steht im Widerspruch zur Personenfreizügigkeit, die Bern mit der EU vereinbart hat.

Von Charlotte Theile, Zürich

Es ist ein bisschen, als wäre man in einer Zeitschleife gefangen. Die sogenannte Masseneinwanderungsinitiative, die die Schweizer im Februar 2014 mit knapper Mehrheit annahmen, beschäftigt wieder einmal das Land. Live-Ticker, Eilmeldungen, schwer beschäftigte Spitzenpolitiker - und irgendwann: ein Ergebnis. Dieses Mal klingt dieses Ergebnis noch etwas absurder als sonst: Der Ständerat, die Kleine Kammer in Bern, hat sich nach langen Diskussionen auf ein Modell geeinigt, das den poetischen Namen "verschärfter Inländervorrang light" trägt.

Im Kern umkreisen die Schweizer Politiker seit zweieinhalb Jahren das gleiche Problem: Die von der Bevölkerung beschlossene Zuwanderungssteuerung steht im Widerspruch zur Personenfreizügigkeit, die das Land mit der Europäischen Union (EU) vereinbart hat. Brüssel denkt gar nicht daran, der Schweiz in diesem Dilemma entgegenzukommen. Zu sensibel ist das Thema Zuwanderung, zu sehr fürchten die Unterhändler einen europaweiten Präzedenzfall. Die EU hat der Schweiz klar signalisiert, dass eine Verletzung des Freizügigkeitsabkommens massive wirtschaftliche Folgen hätte - viele Verträge sind an die Personenfreizügigkeit gekoppelt. Die Schweiz versucht daher, die ungeliebte Initiative, mit der sich die rechtspopulistische Schweizerische Volkspartei (SVP) 2014 durchsetzte, möglichst so umzusetzen, dass Brüssel keinen Anstoß nimmt. Ein solcher Vorschlag zur Güte war der "Inländervorrang light", den der Nationalrat im September beschloss. Er sollte inländischen Bewerbern einen leichten Vorsprung auf dem Arbeitsmarkt geben und so die Einwanderung ohne strikte Quoten oder Kontingente reduzieren.

Für die SVP war dies eine Steilvorlage: Der Nationalrat würde die direkte Demokratie "zu Grabe tragen", sie "der Bürokratie in Brüssel opfern". Ständerat Philipp Müller, der am rechten Rand der Wirtschaftsliberalen FDP Politik macht und viele andere Politiker reagierten auf diese Rhetorik: Der "Inländervorrang light" müsse verschärft werden, forderten sie in den vergangenen Wochen. Nun setzte sich diese Verschärfung durch. Sie nimmt Arbeitgeber in die Pflicht, offene Stellen beim Arbeitsamt zu melden. Die Firmen können verpflichtet werden, arbeitslose Bewerber zum Gespräch einzuladen und etwaige Ablehnungen zu begründen. Bei Arbeitgebern sind diese Vorgaben wenig beliebt, sie befürchten bürokratischen Aufwand. Bei den Sozialdemokraten, die traditionell eher europafreundlich sind, kam der Vorschlag Müllers dagegen gut an. Der "Arbeitslosenvorrang" sei eine "direkte, zielgerichtete und unbürokratische Lösung" der Probleme, die die Abstimmung verursacht habe, befand man hier.

Der "verschärfte Inländervorrang light" geht nun zurück in den Nationalrat. Mitte Dezember soll es zu einer Schlussabstimmung kommen. Mit diesem Beschluss will die Regierung, der Bundesrat, dann weiterarbeiten. Viel Zeit bleibt nicht. Bis Februar 2017 muss die Initiative laut Verfassung umgesetzt sein.

© SZ vom 02.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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