Schweiz:Nach rechts, weg von der EU

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Die Verschärfung des Asylrechts und eine größere Distanz zur Europäischen Union verspricht die rechtsnationale SVP den Schweizern. Das hat sich ausgezahlt bei der Parlamentswahl.

Von Charlotte Theile, Zürich

Um 12 nach 12, wenige Minuten nachdem die Schweizer Wahllokale ihre Türen geschlossen hatten, setzt der Kanton Aargau das erste Ausrufezeichen. 38,6 Prozent der Wähler haben dort laut Hochrechnung für die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) gestimmt, etwa vier Prozent mehr als 2011. Auch die wirtschaftsliberale FDP bekommt demnach 3,7 Prozentpunkte mehr.

Der Rechtsrutsch, den Wahlforscher vorhergesagt hatten, er wurde durch den Kanton an der Grenze zu Deutschland bestätigt. Bald ist klar: Der Kanton Aargau, immer wieder als "kleine Schweiz" bezeichnet, hat tatsächlich den Trend vorgegeben. Die Schweiz rückt an diesem Sonntag nach rechts, die SVP macht überall deutliche Gewinne, ist erneut stärkste Partei des Landes. Und statt mit bisher 54 Nationalräten kann sie Hochrechnungen zufolge mit 65 Vertretern rechnen.

Aargau könnte auch hier Beispiel sein: Von den 16 Abgeordneten, die der Kanton in den Berner Nationalrat entsendet, gehören nach Hochrechnung sieben zur SVP, drei zur wirtschaftsliberalen FDP. Die Sozialdemokraten kommen noch auf zwei Sitze, vier kleinere Parteien auf je einen Sitz.

Insgesamt hat die große Kammer des Schweizer Parlaments 200 Mitglieder, die Kantone entsenden je nach Bevölkerungsgröße Abgeordnete - kleine Kantone wie Appenzell Innerrhoden schicken eine Person nach Bern, aus dem großen Kanton Zürich kommen 35. Der Ständerat, die kleine Kammer des Schweizer Parlaments, hat 46 Abgeordnete, aus jedem Kanton kommen zwei, aus einigen kleinen Kantonen einer. Auch er wurde am Sonntag gewählt. Hier geht es weniger um Parteipolitik als um die Persönlichkeit der Kandidaten. Wahlforscher Claude Longchamp sieht die Erfolge der SVP besonders in der Deutschschweiz. Im französischsprachigen Westen des Landes profitierte dagegen eher die FDP von dem Rechtsrutsch.

Knapp 50 Prozent der Wahlberechtigten haben sich an der Abstimmung beteiligt.

Milliardär Blocher diktierte den wohl teuersten Wahlkampf der Schweizer Geschichte

Der Wahlkampf der vergangenen Monate dürfte der teuerste sein, den die Schweiz bisher gesehen hat. Dominiert wurde er von der SVP, die mit Milliardär Christoph Blocher einen finanzkräftigen Patriarchen hinter sich weiß. Dennoch sprechen Kommentatoren von einem flauen Wahlkampf - inhaltliche Auseinandersetzungen gab es kaum. Die SVP warb mit einer Verschärfung des Asylrechts und einem EU-feindlichen Kurs.

Nach ersten Hochrechnungen verzeichneten die Rechtspopulisten nicht nur im Aargau, sondern im ganzen Land Gewinne: In Solothurn wird ihnen ein Plus von fünf Prozentpunkten vorhergesagt, im Basler Land drei Prozentpunkte, in Zürich 2,5 Prozentpunkte. Die Partei, die 2011 auf 26,6 Prozent der Stimmen kam, dürfte jetzt fast dreißig Prozent erhalten. Die Sozialdemokraten, die mit Simonetta Sommaruga die Bundespräsidentin stellen, haben nach ersten Hochrechnungen auf dem Land Verluste gemacht, in den Städten waren sie stärker. Die wirtschaftsliberale FDP steht in den meisten Kantonen deutlich besser da als noch vor vier Jahren. Die kleineren Parteien der Mitte, besonders die Grün-Liberalen, verlieren.

Damit wird auch eine alte Forderung der rechten SVP aktuell: Momentan stellt sie nur einen der sieben Bundesräte, was den tatsächlichen Kräfteverhältnissen nicht angemessen ist. Ein zweites SVP-Ministerium wird durch dieses Wahlergebnis immer wahrscheinlicher. Gemeinsam mit der wirtschaftsliberalen FDP, die ebenfalls zwei Minister im Bundesrat stellt, ergäbe sich damit eine Mehrheit rechts der Mitte. Für die Verhandlungen mit der Europäischen Union, die in den nächsten Jahren im Zentrum der schweizerischen Politik stehen werden, sind das nicht die einfachsten Vorzeichen. Der neue Bundesrat wird am 9. Dezember 2015 gewählt.

Einen Triumph feierte am Sonntag Roger Köppel, Verleger und Chefredakteur der Weltwoche, der für die SVP angetreten war. Der prominente Quereinsteiger führte die Liste seiner Partei an - als Newcomer und Intellektueller in einer ländlich geprägten Partei durchaus eine Überraschung. Magdalena Martullo-Blocher, Tochter von SVP-Patriarch Christoph Blocher, gelang im Kanton Graubünden nach einem knappen Rennen mit der FDP der Sprung in den Nationalrat. Überraschend war auch der Sieg von David Zuberbühler im Kanton Appenzell Außerrhoden. Der SVP-Mann brach vor Freude in Tränen aus.

An Transparenz mangelt es nicht: In der Graubündner Gemeinde Obersaxen Meierhof wurde unter freiem Himmel gewählt. (Foto: Gian Ehrenzeller/dpa)
© SZ vom 19.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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