Schweiz:Fahre ins Gefängnis! Begib dich direkt dorthin!

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Wer in der Schweiz vorsätzlich Tempolimits ignoriert, dem droht Haft - und das ist noch längst nicht alles.

Von Charlotte Theile

Gefängnis, einfach nur, weil man zu schnell war? In der Schweiz jedenfalls kommt das immer wieder vor. Erst Anfang der Woche machte ein Urteil aus dem Kanton Tessin Schlagzeilen: Dort wurde ein 40-jähriger Deutscher zu 30 Monaten Haft verurteilt, also zweieinhalb Jahren. Nur ein Teil davon ist zur Bewährung ausgesetzt. "Hinter Gitter!", titelten Schweizer Zeitungen. Der Mann aus Ditzingen bei Stuttgart war im Sommer 2014 mit 200 Stundenkilometern über Autobahnen in sechs Kantonen gebrettert, hatte sogar im Gotthard-Tunnel mehrmals überholt - und damit nach Überzeugung der Justiz das Leben von Unbeteiligten aufs Spiel gesetzt.

2013 trat in der Schweiz das Verkehrssicherheitsprogramm Via Sicura in Kraft. Seither können Raser mit bis zu vier Jahren Gefängnis bestraft werden. Wer sich so rücksichtslos verhält wie der Mann aus Ditzingen, muss in jedem Fall ins Gefängnis.

Als Raser gilt in der Schweiz, wer in einer 30er-Zone die Geschwindigkeitsbegrenzung um mehr als 40 Stundenkilometer überschreitet. Je höher das Geschwindigkeitslimit, desto höher werden die tolerierten Überschreitungen. Das heißt: Auf einer Autobahn, wo in der Schweiz ein Tempolimit von 120 Kilometern in der Stunde gilt, muss man schon 200 fahren, um in die Kategorie Raser zu fallen. "Diese Geschwindigkeiten erreichen Sie nicht, wenn Sie kurz nicht auf den Tacho schauen", sagt Thomas Rohrbach, Sprecher des Schweizer Bundesamts für Straßen. Die harte Haltung gegen Raser ist indes nicht unumstritten. Eine Volksinitiative fordert, die Mindest-Haftstrafen abzuschaffen. Dadurch würden Existenzen zerstört, unbescholtene Familienväter zu Verbrechern gemacht.

Seit Einführung der Raserstrafen sank die Zahl der Verkehrstoten

Doch die Haftstrafen sind nicht das Einzige. Die Polizei hat in den vergangenen Jahren einige Hundert Fahrzeuge von Rasern beschlagnahmt. Das Entsetzen über den Entzug des Autos, das in solchen Fällen zur Deckung der Verfahrenskosten und zugunsten der Opferhilfe versteigert werden kann, ist gerade bei deutschen Fahrern groß. Direkt an Ort und Stelle den motorisierten Untersatz zu verlieren, habe eine gewaltige Wirkung, sagt Rohrbach: "Wenn es sich um einen Lamborghini handelt, tut das besonders weh." Ein früherer Verkehrsminister hatte sogar angeregt, die Automobile vor den Augen der Besitzer zu verschrotten. Dazu kam es dann doch nicht. Das Bundesamt ist überzeugt, dass die strengen Regeln die Straßen sicherer machen. Vor der Reform starben jedes Jahr etwa 340 Menschen auf Schweizer Straßen. Inzwischen sind es weniger als 300, was neben den Gesetzen auch mit sichereren Fahrzeugen zu tun hat.

Rohrbach betont aber vor allem den Mentalitätswandel: "Vor 15 Jahren galten Geschwindigkeitsübertretungen als Kavaliersdelikt. Heute sind wir uns einig: Raser sind kriminell und haben auf Schweizer Straßen nichts zu suchen." Hintergrund der Gesetzesänderung waren mehrere tödliche Unfälle, die viele Schweizer verunsichert hatten. Schließlich wurden Unterschriften für eine Initiative gesammelt, der die Politik mit der Reform zuvorkam.

Die Wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden, ist in der Schweiz hoch: Die Stadt Zürich zum Beispiel ist mit knapp 400 000 Einwohnern etwa zehnmal kleiner als Berlin, hat aber 87 Radaranlagen in Betrieb. In Berlin waren es Anfang des Jahres 2015 gerade einmal 20. Schon sie spülen Millionen in die Kassen. Auch in der Schweiz sind die Einnahmen erheblich. Dass Gemeinden Einnahmen aus den Blitzerkontrollen fest in ihre Budgets eingeplant haben, sorgt immer wieder für Unmut. Die Bußen schon für kleine Übertretungen sind in der Schweiz empfindlich: Wer außerorts nur bis zu fünf Stundenkilometer zu schnell fährt, muss umgerechnet fast 40 Euro zahlen, bei Übertretungen von sechs bis zehn Stundenkilometern sind es 100 Euro. "Die Philosophie dahinter ist: Es soll schmerzhaft sein", sagt Rohrbach. Auch in anderen europäischen Ländern sind die Strafen für Geschwindigkeitsübertretungen hoch. Wer in Österreich mehr als 50 Stundenkilometer zu schnell fährt, zahlt mitunter mehr als 2000 Euro.

Bei der deutschen Autofahrer-Lobby kommen die strengen Regeln nicht besonders gut an. Die Schweizer hätten "drastische Rasersanktionen", heißt es vom ADAC, inwieweit diese Wirkung zeigten, sei offen. Was man deutschen Autofahrern rate, die eine Buße aus der Schweiz erhalten? Eine solche Strafe könne in Deutschland nicht vollstreckt werden, heißt es vom ADAC. Man solle sich allenfalls überlegen, dass die Schweiz "ein beliebtes Reise- und Transitland" sei, in dem häufig Polizeikontrollen stattfänden. Das "Vollstreckungsrisiko" sei daher sehr hoch.

Der Autofahrer aus Ditzingen wurde in Abwesenheit verurteilt. Wenn er die Schweiz künftig meidet, wird er seine Haftstrafe wohl nie antreten müssen. Für Thomas Rohrbach ist das kein großes Problem. Der Mann sei nicht mehr auf Schweizer Straßen unterwegs, das sei für ihn das Wichtigste. Und noch ein Detail aus dem Polizeibericht zeigt, dass er seine Raserfahrt vermutlich bereut. Dort heißt es: Die Reise nach Italien habe der Mann im Taxi angetreten.

© SZ vom 24.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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